Die Herstellung von Rancio – Weinen ist im gesamten Katalonien eine sehr alte Tradition. Während im Roussillon, dem französischen Teil Kataloniens, oft süße Weine im Vordergrund stehen, die unter dem Namen Banyuls, Rivesaltes und Maury zu finden sind, steht im Priorat der trockene Rancio im Vordergrund. Es gibt aber inzwischen auch eine Wiederbelebung der süßen Variante.
Allein die Herstellung eines Rancios ist eine extrem aufwendige Angelegenheit. Der ausgewählte vergorene Wein muss sich zunächst einer wenigstens einjährigen Tortur unterziehen, wo er draußen den Witterungsbedingungen ausgesetzt ist. Berühmt sind z.B. die halb in die Erde eingebuddelten Glasballons bei Mas Amiel in Maury, andere stellen ihre Ballons für den Rancio-Wein auf einen Balkon oder die Dachterrasse. Die Ballons werden dort allem ausgesetzt, was das Jahr so zu bieten hat, Schnee, extreme Kälte und Hitze, Regen und Sturm… Das Traubenmaterial für einen Rancio kann dabei weiß oder rot sein, häufiger aber werden rote Trauben verwendet.
Die Winzerfamilie, die die Tradition der Rancioherstellung pflegt, hat dann verschiedene alte größere und kleinere Fässer im Keller, die angelehnt an das Sherrygebiet Solera genannt werden. Wird beschlossen, einem dieser Fässer Wein zur Abfüllung in Flaschen zu entnehmen, so wird diese oft nur geringe Menge aus dem nächstjüngeren Fass nachgefüllt – im Priorat manuell, die Fässer sind nicht wie im Sherry – Land miteinander verkoppelt. Der „frische“ Wein aus dem Glasballon kommt dann in das allerjüngste Fass.
Um ein Mengengefühl zu bekommen: der Solera 35 Anys vom Celler Sabaté – hier werden z.B. 80 Liter in Verkehr gebracht (nicht zwingend jedes Jahr), das ergibt dann die Menge von 160 Halbliterflaschen… Und das ist einer der wenigen „kommerziellen“ Rancio´s, die man offiziell käuflich erwerben kann.
Vielfach bleibt der Wein auch gänzlich in der Familie, wird zu besonderen Menüs als Abschluß gereicht oder gute Freunde bekommen mal die eine oder andere Flasche ab. Auch Probleme können damit gelöst werden, inwieweit heute noch Behördenmitarbeiter glücklich gemacht werden (dürfen) mag anzuzweifeln sein, aber wer braucht nicht auch mal einen Spezialisten, sei es ein Handwerker, ein Anwalt, ein Arzt??? Der Mix aus ultrararem Gut und außergewöhnlichem Sinnenerleben macht es hier, dass ein Rancio stets auch Wohlwollen auslöst…
Sicher gilt das nicht für kommerzielle Rancios, die im Schnellverfahren von ca. 7 Jahren auf den Markt geworfen werden, sondern für die Generationenweine… 30, 40, 60 Jahre alte Soleras, oder sogar die ca. 100 Jahre alten Methusalem-Tropfen, in denen Geschichte lebendig wird, egal ob sie Trinkspaß machen oder eher schwer verdaulich sind und die Gemüter spalten.
Die Gemüter sind eh gespalten, die Einen verdammen einen Rancio als untrinkbares essignahes Zeug, der Begriff Medizin ist hier noch sehr geschmeichelt. Die anderen können sich restlos für diese Aromenbomben begeistern. Rancio´s sind die John Zorns, Bob Ostertags oder Captain Beefhearts in der Welt der Weine…
Zumeist sind gute Rancios wahre Nasenmonster und auch am Gaumen sind sie hinsichtlich der Aromenvielfalt und Komplexität mitunter bis an die Schmerzgrenze (und drüber hinaus) gehend. Der Nachhall kann eine kleine Ewigkeit lang dauern – schon aus dem Grunde geht nach dem Genuss eines Rancio-Weines lange danach nichts „Normales“ mehr. Und ist man der Faszination dieses Nachhalls erlegen, dann will man auch lange nichts anderes mehr. Da ein kleines Gläschen davon reicht, dauert es auch einige Zeit, die ein Rancio braucht, ehe die Halbliter-Flasche leer ist. Meiner Erfahrung nach sind 3 Wochen für trockene Rancio-Weine okay, danach kommt die ohnehin schon immense Säure dieser Weine noch mehr in den Vordergrund.
Einen guten Rancio angeboten bekommen, ist immer ein seltenes Privileg. Ich hatte derer 5 angesammelt, um eine kleine Querverkostung zu machen. Nachdem es sich 2017 und 2018 nicht ergeben hat, die 5 Weine noch rein zu schieben, habe ich dieses Mal am Tage der Vorbereitung der Ten Years After – Proben mit Klaus-Peter erbarmungslos „zugeschlagen“. Ich wollte schließlich auch seine Meinung mit aufnehmen können, auch wenn er sich nicht trauen würde, bereits Punkte für diesen ungewöhnlichen Weinstil zu vergeben. Verkostet wurde an Tag 1 blind, wobei schon die Farben Spekulationen zuließen. Die Notizen sind nicht gerankt sondern in der Reihenfolge der Verkostung geschrieben.
Here we go:
Solà Clàssic; Rancio; Priorat – Bellmunt del Priorat; o.J. – braun;
Aus ca. 50 Jahre altem Solera – Fass
Blind Tag 1: Das Rotbraun eines Eichhörnchens, aber extrem funkelnd, sehr animierend in der Farbe. Schräge, sehr wandelbare Nase, schwer zu fassen, ein Farbenladen im Wald, Herbst, getoastetes Holz, unbeschreiblich komplex. Am Gaumen im Antrunk zunächst recht brav, aber dann fächern sich die Aromen avantgardistisch auf, wird mit dem Schlürfen immer gaumenfüllender, zeigt aber bei aller alkoholischen Schärfe auch Eleganz. Ein Wein, vor dem man sich verbeugt. Im Abgang dann deutlich sanfter und sinnlicher, enorm lang und intensiv fein nachhallend. Ein Wein zum Verneigen. Traumhaft, wie vielschichtig und wandelbar er sich zeigt. Macht Gänsehaut! 98+/100 Th. Weltklassewein.
Cognacfarben. Sehr feine, nussige Nase, getrocknete Aprikosen, am Gaumen dichte präsente Säure, die fast alles übertönt, schön zu trinken. VP
Offen Tag 13: Deutlich dunkler in der Aromatik, Trockenpflaumen, geröstete Haselnüsse, Milchkaffee, eine gemähte Kräuterwiese. Ein Riechtraum. Am Gaumen recht männlich und fordernd, mit dem Schlürfen zunächst ob seiner Aromenfülle sprachlos machend. Enorme Frische und viel Grip, ein Männerranció. Sehr ölige Konsistenz, intensiv am Gaumen und mit fast ewigem Nachhall. 98+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 16: Unverändert. 98+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 18: Unverändert. Wild und komplex. Ein Erlebnis. 98+/100 Th. Weltklassewein.
(10-11/2019)
Familia Sedó Barcelo; Vi Ranci del Padri; Priorat – Bellmunt del Priorat; o.J. – braun;
Nahezu 100jährige Ranció – Solera.
Blind Tag 1: Blickdichtes Schwarzbraun. Die unfassbarste, schrägste und intensivste Nase, die ich je im Glas hatte, blutiges Rindersteak in Kräuterkruste, Absinth, schwarze Nüsse, laut und schreiend wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen. Unerträglich intensiv, aber faszinierend. Nicht aus diesem Universum. Too much? Provokant und extrem schräg. Am Gaumen extrem ölig und eine extreme Säure. Tötet alle Bakterien und tut fast weh. Ein brutales Extrem, Death Metal und John Zorn / Naked City Geknüppel in flüssiger Form. Was für schräges Zeug, fast unbewertbar, zugleich untrinkbar wie auch faszinierend. Muss man mal im Glas gehabt haben, um Extreme zu definieren! Aber Vorsicht, extrem polarisierend und alles andere als gefällig. Hors Categorie.
Dichtes tiefes Rot. Sehr konzentrierte Nase, ein bißchen too much. Am Gaumen extreme Säure, getrocknete Früchte, Pflaumen, schwierig zu trinken. VP
Offen Tag 13: Was für ein Elexier, eine Nase jenseits von Gut und Böse, von brutaler Intensität und in seiner tiefen Aromatik unfassbar. Schmerzen und Gänsehaut . Ein Extrem am Gaumen. Fesselnd und fordernd. Zu viel für normale Gemüter – Naked City im Glas… Hors Categorie.
Offen Tag 16: Unverändert. Hors Categorie.
Offen Tag 19: Nur schnüffeln, trinken könnte tödlich sein. Was für ein Stoff – ein Jahrhundert voller Träume und verbrannter Erde… Hors Categorie.
(10-11/2019)
Celler Cal Pla; Ranci; Priorat – Porrera; o.J. – braun;
Blind Tag 1: Der hellste Wein, dunkles Ockerbraungelb mit tollem Funkeln. Recht verhaltene, aber sehr feine Nase. Gebrannte Haselnüsse, grüne Walnüsse, Morcheln, sehr feine Aromen. Am Gaumen sehr trocken und fast schon elegant, baut dann aber Druck auf, sehr ölig, wiederum nussig, im Abgang dann regelrecht explodierend. Etwas kommerziell. 96+/100 Th. Großer Wein.
Hell leuchtende Farben mit orangeroten Reflexen. Bienenwachs, Marzipan, Trockenfrüchte, betörend. Sehr elegant, feine Säure, trocken, feiner Extrakt. VP
Offen Tag 13: Ein Duftuniversum nach Rosinen, Trockenfrüchten, Honig, altem Brandy und Orangenschale. Am Gaumen absolut trocken und sich in den Aromen auffächernd. Mit dem Schlürfen marschieren die Aromen am Gaumen vorbei, im langen intensiven Nachhall vereinigen sie sich. Toller Stoff, der sich abgerundet hat und der auf seine Art und Weise beeindruckt. 97+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 16: Wie in der 2. Runde, macht viel Spaß. Langer intensiver Nachhall, der noch immer begeistert. Inzwischen aber auch ein tolles Nasentier. 97+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 19: Unverändert zur 3. Runde, sehr ausgewogen und tief. Ein melancholischer Wein, der von der alten Zeit singt. 97+/100 Th. Weltklassewein.
(10-11/2019)
Celler Sabaté; Mas Plantadeta Vi Ranci Solera 35 Anys; Priorat – La Vilella Baixa; o. J. – braun;
17°
Blind Tag 1: Rotbraun, dabei etwas mehr ins bräunliche gehend. Tolles Funkeln. In der Nase üppig und sehr komplex, schwer zu fassen. Nasses Herbstlaub, Pilzwald im Nebel, frisch mit Möbelpolitur gewienerte Möbel. Immer neue Nuancen, ein Duftuniversum. Extrem trocken am Gaumen, aber auch hier ein Aromenuniversum, säurebetonter und mit Kraft, extrem ölig, im Abgang explodierend und extrem komplex im Nachhall. Unbeschreiblich, was für ein Erlebnis. Setzt zwar eher auf Kraft, aber er überzeugt dennoch auf ganzer Linie. Harmonisch und extrem im Nachhall. Für hartgesottene Freaks. Ein Zauberstoff. 98+/100 Th. Weltklassewein.
Cognacfarben mit leichtem Rotstich. Sehr harmonische und elegante Nase. Am Gaumen nussige Aromen, Kerzenwachs, trocken, feiner Extrakt. Sehr langer Abgang. VP
Offen Tag 13: Ein wahrer Riechtraum. Perfektes Nasenspektakel, intensiv und vielschichtig. Unfassbar komplex. Trockenpflaume, Brandy, getrocknete Früchte, kandierte Orangen, Curry und Colombo – Gewürz. Am Gaumen eine üppige, komplexe und tiefe Aromatik, dazu viel Frische. Unglaublich viel Druck und eine tolle Länge mit einem intensiv beeindruckendem Nachhall – so üppig, dass er fast die Tränen in die Augen treibt. Viel Spannung. 98+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 16: Eine sagenhaft freakige Nase, extrem komplex und mit unfassbaren Aromen. Insgesamt unverändert. 98+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 19: Unverändert. 98+/100 Th. Weltklassewein.
(10-11/2019)
Familia Sedó Barcelo; Vi Ranci; Priorat – Bellmunt del Priorat; o.J. – braun;
Blind Tag 1: Rubinrot mit braunem Touch, enorm funkelnd. Feinster komplexer Schnüffelstoff, leicht angebranntes Pflaumenmus, dann ebenfalls geröstete Mandeln und Nüsse, pilziger Wald, Kräuteressenzen, intensiv, ohne sich aufzudrängen. Sehr nobel im Duft. Nobel dann auch am Gaumen, Kraft zeigend und ein aromatisches Pfauenrad schlagend, sehr voll am Gaumen, aber eher auf der eleganten Seite, im langen üppigen Nachhall dann viel Frische und Schiefer-Power. Sehr ausgewogen in seiner Charakeristik. Traumstoff, der nicht von dieser Welt ist. 99+/100 Th. Weltklassewein.
Helles Weinrot. Elegante Nase, streichelt ganz fein die Nasenflügel. Am Gaumen sehr elegant und harmonisch, nussig mit feiner Säure und sehr langem Abgang. Definitiv mein Favorit. VP
Offen Tag 13: Nahezu perfekter Rancio – ein Riechtraum! Auch am Gaumen dann die Nase nahezu perfekt umgesetzt. Sehr lang und intensiv in der hyperkomplexen Aromenwelt. Stoff zum Träumen!
99+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 16: Unverändert. 99+/100 Th. Weltklassewein.
Offen Tag 19: Immer noch nahezu perfekt! Was für eine Eleganz für diesen Weinstil der trockenen Rancio´s. Traumhaft! 99+/100 Th. Weltklassewein.
(10-11/2019)