Das soll nun einer dieser denkwürdigen Tage werden, an denen Himmel und Hölle so beängstigend nah beieinander liegen, dass man Angst bekommt, sie würden miteinander verschmelzen…
Aber noch kommt mir das natürlich nicht in den Sinn, ich habe im Chalet wunderbar geschlafen, dann gut gefrühstückt und geduscht und aufgrund des trockenen Wetters beschließe ich, klettern zu gehen. Die Sonne kämpft,durch die Wolken zu gucken und ab und an gelingt ihr dies – es schaut alles nach einem verhältnismäßig schönem Tag aus.
Zunächst gehe ich an den ca. 100 m hohen Jeunesse – Felsen, an dem ich bereits mehrere Wege gestiegen bin, den 5 Seillängen – Klassiker L´ Ancien Jeunesse dabei bereits mehrfach. Diesmals gehe ich von der Nordseite in die kleine Höhle und entdecke auch die Abseile im Loch (Trou)
Ich hänge das Seil in die Öse ein und klettere durch das Loch, um mir die luftige La Traversée Serge anzusehen.
Am Ende gehe ich zwei, drei Schritte in die kleingriffige und -trittige Querung hinein, um dann festzustellen, dass ich aufgrund der langen Krankheitspause doch nix Gutes mehr gewöhnt bin. Es ist arg luftig um den Hintern und gesichert bin ich nicht wirklich, würde ich wegrutschen oder was ausbrechen, käme ich ins Pendeln und das wäre unschön. Die Zwischensicherungen sind auch nicht wirklich zum Greifen nah – besser diesen Weg nicht alleine angehen…
Also beschließe ich, mich hier abzuseilen, um eventuell La Grand Mere – Traverse sans Nom wieder hoch zu klettern.
Aber ob das so eine gute Idee ist, denn beim Abseilen muss ich an einem Erdwespennest vorbei…
Hinzu kommt, dass die Großmutter übel abgegriffen und glatt ist, man hätte sie „seifige Großmutter“ nennen sollen. Außerdem käme ich auch hier beim Sturz ins Pendeln und bei dieser Schmierseife ist ein Nichtsturz keine Frage von Können oder Nichtkönnen, sondern auch die des Glücks.
Ich frage mich eigentlich schon, was die Kletterschuhe hier überhaupt noch sollen, ich rutsche auf dem glattgelutschten Fels ständig weg und habe eigentlich selten das Gefühl, irgendwo zu stehen. Die Hände und Arme müssen die Hauptarbeit leisten, es gibt meist irgendwas, wo man sich festkrallen kann und wenn auch nur mit zwei, drei Fingern. Aber die Armkraft ist irgendwann zu Ende, kein Wunder nach diesem kranken Jahr, wo bislang kaum was ging.
Mir ist es ohne Sicherungspartner zu gewagt und ich lasse mich nach einigen Metern kontrolliert in meine Selbstsicherung gleiten, pendle vier, fünf Mal wie ein Uhrpendel hin und her und seile ich mich langsam wieder ab. Irgendwie bin ich dabei auch froh, nicht noch mal an den Wespen vorbei zu müssen. Dann habe ich festen Boden unter den Füßen und erst mal dicke Unterarme.
Mir fällt ein, dass es an den Merinos noch ein bissel was leichteres gibt und so ziehe ich das Seil ab und mache mich auf den Weg.
Aber auch schon die spektakuläre Wanderung ist erfreulich für die Sinne. Am Tête de Lion geht der Wanderweg haarscharf an der Wasserkante am Felsen lang, bei höherem Wasserstand muss man durch´s Wasser.
Auch die Blicke auf die einzelnen Felsen sind immer wieder toll.
Am Merinos sind nebenan noch zwei französisch-belgische Pärchen, aber wir kommen uns nicht ins Gehege.
Auch an diesem Felsen gibt es mehrere schöne Mehrseillängentouren, die ich schon gemacht habe. Ich möchte diesmal Le Cubitus durch steigen, aber auch den danebenliegenden Weg Bleue möchte ich gern durch meine Selbstsicherung gesichert versuchen. Die erste Seillänge von Le Cubitus ist solo überhaupt kein Problem, ich hatte diesen Weg auch vor Jahren schon mal mit meinem Kölner Freund Maik gemacht.
Immer wieder gibt es spektakuläre Blicke, auch auf Schloß und Park Freyr auf der anderen Seite des Flusses. Ich lege das Seil durch die Abseile, seile ich ab und steige an der Selbstsicherung die erste Seillänge von Bleue wieder hoch. Was für ein toller Genussweg, auch wenn ich diese belgische 4c (fast eher französische 5a) nicht solo hätte hochgehen wollen. Aber gesichert ist es immer im grünen Bereich.
Mit der zweiten Seillänge verfahre ich genauso, erst Le Cubitus, dann Bleue, wiederum delikater und auch glatt, aber mit immer wieder schönen Rettungshenkeln. Ich stehe jetzt schon mehr als 50 m über dem Boden und habe erneut großartige Aussichten – unten fährt ein Touristenschiff vorbei und der Kapitän macht auf uns „Verrückte“ aufmerksam, die hier in der Wand hängen…
Aber dann gibt es in der 3. Seillänge doch ein recht delikates Stück aufgrund der Glätte des Felsens. An eine vernünftige Sicherung komme ich auch grade nicht heran und Solo ist es mir nach dem dritten Versuch und bei drohendem Krampf in den Fingern doch etwas zu gefährlich. Der Sturz wäre etwas tiefer als 60 m – irgendwann muss ich zwar sterben, aber nicht hier und nicht jetzt, erst recht nicht heute, befinde ich. Es fehlt zwar nur ein halber Meter bis zum Rettungsgriff, aber ich bekomm es ungesichert nicht hin. No way im Kopf…
Also ganz vorsichtig wieder abklettern. Zur Not hätte ich zwar einen Karabiner an der letzten Zwischensicherung geopfert, aber es geht auch so. Auch wenn ich mein Herz hören kann. Bleibt also die dritte Seillänge für einen Klettertag mit einem oder mehreren Partnern. Auch wenn jetzt nach der Doppelabseile Moral und Armkraft erstmal am Ende sind, so war es doch noch ein wunderschöner grandioser Klettertag geworden – die Glückshormone fliegen und nur das ist es, was zählt.
Nach kurzer Unterhaltung mit den beiden Pärchen ziehe ich das Seil ab und mache mich auf den steilen Zick-zack Wanderweg nach oben. Vielleicht erwartet ja Jo, der „alte Holländer“ mich in der Hütte, es wäre zu schön, mit diesem Original mal wieder einen Abend zu plaudern. Jo ist bereits Rentner und Hüttenwart, aber jetzt außerhalb der Saison natürlich nicht ständig vor Ort.
Auch Durst und Hunger kommen so langsam und werden von Schritt auf Schritt größer. Wie wunderbar ich das während des Kletterns verdrängen kann, aber wehe, es signalisiert Feierabend, dann kehren die ganz profanen Bedürfnisse mit Macht zurück…
Aber Jo scheint nicht da zu sein, mein Auto ist von weitem erkennbar das Einzige auf dem Platz. Meine Mitkletterer hatten weiter vorn an der Straße geparkt. Also erneut allein…