Eigentlich wollte ich gar nichts aus dem Priorat aus dem noch im Werden begriffenen Jahr 2005 trinken derzeit, aber eine Reklamation eines Kunden, die den 2005er Alice als untrinkbar und bitter aburteilte, zwang mich dazu, dies zu überprüfen.
Zwar gab es bei meiner letzten Vergleichsprobe von 2005ern im Basis- und unteren Segment einige positive Überraschungen, aber bei den meisten der größeren Weine stehen die Ampeln nach wie vor eher auf rot.
Auch Alice und Clos Clara aus 2005 zeigten sich vor etwa 2 Jahren als noch meilenweit vom Trinkspaß entfernt. Wenn man dann die Weine dennoch aufzieht, müßte man sich mit einem Babymord abfinden, schließlich warnen genug Leute vor den noch nicht immer ganz harmonischen Weinen aus 2005.
Wohin die Reise geht, scheint dennoch klar, 2005 gehört zu den fetteren und volleren Jahren, es wird nicht verwundern, wenn dereinst auch viel Kraft ins Glas kommen wird – Finesse und Balance darf man in diesem jahr noch nicht bei der überwiegenden Anzahl der Produzenten generell erwarten, der Stilwechsel war 2005 noch nicht durchgängig vollzogen.
Was erwartet uns nun bei diesem Wein, der als reklamierte Problemflasche auf meinem Tisch landet?
Celler de l´ Abadia; Alice; Priorat – Gratallops; 2005 rot
1. Tag:
Ein fast undurchdringliches Schwarz begrüßt uns, dazu eine erst leicht offene, etwas warme und volle Nase, die mit Luft komplexer wird. Am Gaumen eine dunkle Frucht, recht voll und kräftig mit einer für den Jahrgang repräsentativen Kraft, eher auf Sportlichkeit denn auf weiblichen Charme getrimmt. noch nicht zu 100% harmonisch, schon mit mehr Konturen als vor ca. 2 Jahren, aber ohne Finesse und Vielschichtigkeit der ganz großen Weine (aber dafür gäbe es ja aus gleichem Hause noch den Clos Clara darüber).
Dennoch ein Wein ohne Fehl und Tadel und seiner Klasse völlig entsprechend. Mit Luft kommt auch die Mineralik besser zum Vorschein. Nicht mehr so verschlossen wie zuletzt, aber mit nach wie vor noch vielen Reserven. Besser lagern als trinken. 92+/100 Th. Sehr guter Wein.
2. Tag: Offene Nase, harmonischer als am 1. Tag. Erinnert in seiner Üppigkeit an belgische Pralinen, Bitterschokolade mit Cassiskonfitüre, zeigt heute auch eine sehr schöne frische Säure, aber auch nach wie vor sehr voll am Gaumen. Vom Extrakt und Charakter her eher an die Weine aus Porrera erinnernd. Macht mehr Spaß als am ersten Tag und ist harmonischer. 93/100 Th. Exzellenter Wein.
3. Tag: Unverändert zum 2. Tag. 93/100 Th. Exzellenter Wein.
92+; 93; 93 = 92,67+/100 Th. = 93/100 Th. = Exzellenter Wein.
Damit bestätigt sich der Wein in Linie zu den früheren Bewertungen. Unter bitter und untrinkbar und der Vermutung eines Lager- oder Transportfehlers hätte ich mir was anderes vorgestellt.
Geschmack ist schließlich etwas sehr individuelles und nicht jeder hat dabei die selben Vorlieben, manchmal scheinen da sogar ganz konträre Empfindungen im Spiel zu sein.
Uns hat die Alice 2005 jedenfalls ein mal mehr gefallen, Yvonne sogar noch mehr als mir, auch die Mittrinker fanden keinen Ausfall bei der reklamierten Flasche.
Schade, dass Alice nicht jeden anlächeln kann, aber auch das scheint einfach in der Natur der Sache zu liegen.
Den Alice 2005 gab es längere Zeit über meine Prioratführerselektion, inzwischen ist er aber seit einigen Monaten restlos ausverkauft. Restflaschen (zum Einlagern und Trinken nicht vor 2015!) gäbe es noch vom großen Wein des Gutes, vom Clos Clara.