Naturwein,
Natur… – Wein… Widerspruch oder bedingt das eine das andere?
Nein, ich will hier nicht den Versuch einer Definition unternehmen, aber den einen oder anderen Gedanken habe ich schon, wenn dies zum Thema einer Weinrallye erklärt wird.
100% Natural steht auf dieser Flasche eines Montsantweins von Vinyes d´en Gabriel, den ich in meiner Prioratführerselektion verkaufe. Das ist kein Biolabel, kein offizieller Hinweis darauf, dass der Wein irgendein Zertifizierungsverfahren durchlaufen hat – aber es ist 100% Philosophie…
Diese Philosophie treffe ich mehr und mehr bei den kleinen Weingütern, aber auch bei sehr bekannten Produzenten des Priorats an. Und auch im benachbarten Montsant tritt man in dieselben Fußstapfen.
Lange schon bevor irgendeine offizielle Ökowelle nach Spanien schwappte, begannen sowohl Capafons-Osso wie auch Clos Mogador mit einer nachhaltigen Weinproduktion.
Die Familie Capafons-Osso war von Beginn an stolz auf die Vielfalt an Pflanzen und Kräutern im Weinberg und sah nicht ein, die Weinberge tot zu spritzen und dann erkannte man die Aromen der Kräuter in den Aromen des Weins wieder. Wenn René Barbier über seinen Clos Mogador spricht, dann erklärt er – „Mogador, das sind die Blumen“…
Geht man durch diese oder andere Weinberge, die mit der „Philosophie der Natürlichkeit“ bewirtschaftet werden, dann wünscht man sich als der Menschheit noch fehlende Erfindung einen Recorder, der Düfte aufnehmen kann, dann erfreut man sich an einem intakten Ökosystem, in dem einem Rebhühner und anderes Getier mit einer Art Selbstverständlichkeit begegnen.
Es gibt Landbesitzer, die Wald- oder Garrigueparzellen kaufen, dass sie erhalten bleiben und nicht jeder Hang gerodet wird, damit es noch ein paar mehr Flaschen Prioratwein gibt. Den Fehlern der 90er Jahre, als Goldgräberinvestoren das Priorat heimsuchten ist die Strömung der Bewahrer und Beschützer entgegengetreten. Meist sind es die „alten Familien mit altem Rebbesitz“, die die alten Costershänge mit 80 bis 100 Jahre alten Carignan und Grenachereben plötzlich wieder als Schatz begreifen. Da sind es die Kinder, oft schon die Enkel, die plötzlich voller Heimatstolz verkünden, nicht weggehen zu wollen, sondern hier einen eigenen Wein zu machen.
Nicht irgendeinen billigen Wein für die Discounter dieser Welt, sondern einen Wein mit der Philosophie, die das Streben nach Kunst und Perfektion im Genuss mit dem Streben nach Bewahren der Schöpfung vereint.
Weine, die man mit Ehrfurcht genießt, Weine, die Geschichten erzählen, die immer wieder neu überraschen und die auch nach Tagen noch Spaß bereiten. Aber auch Weine, die bekömmlich sind, weil sie in einer intakten Umgebung entstanden sind, weil deren Weinberge nicht chemisch aufgedopt sind, die im Keller natürlich verarbeitet werden, ohne dass Unmengen an Pülverchen und Fläschchen aus irgendeiner Hexenküche zugegeben werden, deren beste Bestandteile nicht wegfiltriert werden wie beim Sächs´schen Kaffee…
Viele, mehr und mehr Erzeuger gehen auch hier inzwischen den Weg einer Zertifizierung, nur die Querköpfe unter den Winzern verzichten auf die damit verbundene Bürokratie – was aber alle eint, das ist die Philosophie. Das Tun und nicht nur das Darüberreden.
Das Arbeiten mit dem vernünftigen Maß – was nützt ein instabiler Wein, der letztlich nicht verkäuflich ist? Also besser minimal schwefeln oder nach Alternativen zum Schwefel suchen… (hier gibt es inzwischen interessante Experimente, z.B. das Haltbarmachen durch eine Lagerung im kalten Wasserbecken, wie es bei den Brüdern Duran praktiziert wird, deren Weine meine Selektion in Kürze ebenfalls bereichern werden)
Was nützt ein Weinberg, der von Schädlingen zerfressen oder dessen Boden Nährstoffe braucht – also besser mit natürlichen Mitteln versuchen, das ökologische Gleichgewicht wieder herzustellen bzw. zu bewahren, als sich dem Schicksal zu ergeben.
Und so findet man im Priorat mehr und mehr tierische Helfer im Weinberg, vom Pferd und Muli zum Esel für die Arbeit im Weinberg, aber auch „Mietschafe“, die die Gräser und Kräuter fressen dürfen und zugleich natürlichen Dünger da lassen, nicht zu vergessen die vielen wilden Vögel, die die Insekten auf eine bessere Art vernichten als die chemische Keule. Sicher findet man auch Wildschweine, die Gefallen an den Trauben finden, aber wenn deren zu viele werden findet man auch Jäger als natürlichen Feind der Schweine…
Gleichgewicht halten, das ist die Devise und das wird mehr und mehr auch im Priorat der letzten Jahre erlebbar. Sicher sind die Fehler der Goldgräberzeit noch zu sehen, aber mehr und mehr finden wir hier den Ruf „Zurück zur Natur“, den Ruf nach Nachhaltigkeit und Verantwortungsnahme.
Mehr und mehr finden wir die Blumen und Kräuter zwischen den Reben, als wäre dieses Miteinander das Natürlichste der Welt…
Einen speziellen der Weinrallye gewidmeten Wein habe ich jetzt nicht geöffnet, ich habe noch Reste von 16 Weinen aus dem Priorat / Montsant aus 2009, die getrunken werden müssen – aber wenn ich es so bedenke, dann folgen die Flaschen alle oder fast alle dieser Philosophie von „100% Natural“ – und komischerweise fallen in den Blindverkostungen oft diese so sehr auf, dass ich mich dann entschließe, genau diese Weine in meine Prioratführerelektion aufzunehmen.
Der gute Geschmack letztlich bestätigt an dieser Stelle die Richtigkeit der Philosophie. Man kann sich gern auch anhand meiner Selektion davon überzeugen.
Auch wenn ich jetzt erst einmal wieder zur Fira runter fahre und Wein – Bestellungen erst danach abarbeiten kann. Dennoch freue ich mich über jeden, dem ich diese natürlichen Weine meiner Selektion ein Stück näher bringen kann.
Mit Roca de los Dotze habe ich im letzten Jahr einen weiteren Erzeuger in meine Selektion aufgenommen, der einen konsequenten Weg der 100% Natural – Philosophie geht… – nur ein Beispiel von vielen.