André alias Gottfried Stutz, hier auch gelegentlich an Bord und Gewinner eines Weihnachtsrätselpaketes im letzten Jahr, auch bekannt als ewiger Praktikant bei 180° wurde von Susa auserwählt, mir einen Wein zu schicken – und er schickt mich auf eine Erinnerungsreise nach Portugal…
In den 90er Jahren war ich mehrfach in Portugal zu Jugendaustauschprojekten und später auch auf Radtouren. Gänzlich unbekannt ist mir Portugal als Weinland also nicht, allerdings bin ich nie in den Norden Portugals gekommen und war leider bislang weder im gewaltigen Douro-Tal noch in Porto.
Das Nördlichste, was ich kenne, ist das Schloß Sintra und dessen Umgebung, dann aber fast alles, was unterhalb von Lissabon liegt und was man gesehen haben sollte… Das erste, was ich nach Billig-Portwein-Erfahrungen zur Wendezeit lieben lernte, war der Moscatel von Setubal und für einen 20 Jahre alten hab ich mich immer gern versündigt… Die Roten aus der Ecke legten erst später qualitativ zu, aber die Weine aus dem Alentejo mochte ich von Anfang an – wenngleich auch sie sich immer mehr besserten, je später ich wieder mal da war…
Dao und Douro -Weine fielen mir nur mal sporadisch in die Hände – vor meiner Zeit, in der ich anfing, mich ernsthafter mit Wein auseinander zu setzen… Insgesamt haben aber die Portugiesen auch eine Aktie daran, dass ich mich tiefer mit Wein beschäftigen wollte.
Der Gottfried schickt mich also in meine Vergangenheit und ich werde noch mal alte Dias und Bilder rauskramen mit dem letzten Glas des Weines – wenn der Post geschrieben ist und ich mich zum Genuss noch mal gemütlich zurücklehnen kann. Dann darf es ruhig mal sentimental werden, schließlich waren die 90er die schönsten und erinnerungsreichsten Jahre meines Lebens…
Quinta da Gaivosa; Vinha de Lordelo; Douro; 2009 rot;
gestern geöffnet und nach dem ersten Glas hab ich dann schnell noch einen 1998er Mas de Daumas Gassac aufgezogen, der schon oben stand… – da kam in der Nase anfangs nur ein leises, aber sehr feines Säuseln, am Gaumen eine eher rote Frucht, helle und rote Johannisbeeren, ganz wenig Kirsche, dazu etwas Holz und nicht viel mehr, der Eindruck am Gaumen war sehr auf Eleganz aus und es zeigte sich eine eher sanfte feine Länge… Alles deutete auf einen eventuellen Babymord hin, da war Potential, zweifelsohne, aber Größe konnte ich gestern keine finden. Ein exzellenter und fruchtbetonter moderner Wein, fast geschliffen glatt und etwas, was wohl von fast überall sein könnte… Nö – das wird der Gottfried so nicht gewollt haben mit dem Wein… Also Daumas Gassac trinken und den Douro weg stellen, ihm Luft geben…
Ja, es war in Aniane, wo mein erstes Portugal-Abenteuer seinen Lauf nahm – insofern passt das mit dem Daumas Gassac ganz gut… Unser portugiesischer Partnerverein war aus der Sächsischen Schweiz zunächst zu einem weiteren Austausch gefahren – nach Aniane, was ich aber nicht wußte – im Sommer 1991. Ich verabschiedete die Gruppe in Dresden und mich umgehend in den Urlaub. Mit dem Baseler Nachtzug raus aus Deutschland, tagsüber weiter nach Genf und dann erneut mit einem Nachtzug Richtung Barcelona. Am nächsten Morgen in Perpignan raus und mit dem Train Jaune hoch auf die Cerdagne… Und dann endlich aufs Rad, runter nach Seu de Urgell, rein nach Andorra, über den Pass nach Frankreich zurück – Ax les Thermes – Carcassonne – Montagne Noire – Le Sidobre – Millau – die Tarnschluchten rauf und über die Causse, die Jonte – Schlucht gequert und über La Couvertoirade runter nach Aniane zu unserem französischen Austauschpartner, mal guten Tag sagen…
Und dort den portugiesischen Freunden in die Arme fallen, die einenTag später nach Hause wollen… Als sie erfahren, dass ich noch Zeit habe, rücken sie alle zusammen in den zwei Kleinbussen und entführen mich samt meinem Rad kurzerhand nach Portugal in ihre Heimat… Wie ich von da zurück kommen sollte, um meine gebuchte Rückfahrt ab Perpignan antreten zu können, war erst mal völlig nebensächlich, sie wollten nur, dass ich schon mal mitkomme, ihre Heimat kennen zu lernen. Sind die Portugiesen nicht gar das stolzeste Volk Europas?
So düsten wir nachts durch die spanischen Hochebenen und dann irgendwann sagten sie: Gleich geht es bergab und dann wird es richtig schön – grüner und wuchtiger. Und dann bist du in Portugal…
Nicht grüner, aber wuchtiger ist heute der Wein, die Luftzufuhr hat ihm richtig gut getan, er baut jetzt Druck auf, wird komplexer, lauter – in der Nase wie am Gaumen. Er beginnt zu tanzen, will, dass ich mit ihm spiele, ihn lange schlürfe… Er bedankt sich mit einem Kaffee zur Frucht, noch immer sind da die kleinen säuerlichen Johannisbeeren, aber jetzt kommt da noch viel mehr dazu, er wird spannend und ja, er wird groß. So groß, dass ich überlegen muss, ob ich schon jemals einen portugiesischen trockenen Roten so gut gesehen habe.
War ich gestern mit Potentialbedenken bei 93 oder 94 und exzellent, so war heute das erste Glas bei 95 und er wird immer besser, legt weiter zu und will mir die 96 Punkte abringen. Gut, er soll sie haben, schließlich lockt er heute mit seinen Aromen all die Erinnerungen raus. Ein Punkt Schwärmerei sei an der Stelle verziehen.
Da fällt mir ein, irgendwo hab ich noch eine Kassette, die mein Freund Nuno damals gemeinam mit mir aufgenommen hatte, wir haben zu seiner Klampfe gesungen und textlich improvisiert, was das Zeug hielt und viel Spaß bei der gemeinsamen Jam-Session gehabt. Zum Abschied drückt er mir die Kassette in die Hand, ich werd sie mir wohl jetzt noch mal anhören, auch wenn ich mich nicht bei Dieter Bohlen und Co damit bewerben brauche. Dazu war es auch nie gedacht, wir wollten nur unseren Spaß – und den hatten wir…
Genau wie ich jetzt mit diesem Wein. Danke André Gottfried. Für den wunderbaren Wein und die zum Leben erweckten Erinnerungen…
Und die Susa hat ja auch wirklich ein Händchen beim Zusammenstellen, denn ich durfte mein Wichtelpaket fast nach Aniane schicken. Nach Olargues, wo ich natürlich auch schon mit dem Rad durch bin – damals in diesen Zeiten. Da kannte ich aber die Iris Rutz-Rudel noch nicht. Seit dem ersten Vino-Camp aber kenne ich sie und wie schön, dass sich der Faden jetzt wieder aufnimmt, da ich ihr als Wichtelpate zugeteilt wurde.
Da die iris ja selbst Ökowinzerin mit Leib und Seele ist und auch durchaus recht gut experimentiert, mussten schon Weine von Charakterköpfen her… Und ich wollte es ihr ein wenig überlassen, ob sie lieber einen meiner Heimatweine kennenlernen möchte, sprich einen vom Matthias Kirmann, der ja hier auch ab und an schon mal aufgetaucht ist oder ob sie lieber den ersten schwefelfreien Montsant-Wein kennenlernen möchte.
Auch die Iris tat sich schwer mit einer Entscheidung und fand beides spannend. Das Porto kostet mich dasselbe, ob ich einen Einer-Karton oder einen Dreier nach Südfrankreich schicken lasse, also kann es ruhig ein Dreier-Paket werden für eine mir lieb gewordene Weinfreundin.
Zu Matthias Kirmann musste ich eh, denn meine Bestände seiner Weine waren schon arg geschrumpft und Matthias war auch von der Idee angetan und steuerte somit eine seiner letzten Flaschen vom 2011er Cabernet – Mitos bei, mehr Charakterwein aus dem nördlichen Harzvorland geht dann nicht mehr – danke Matthias…
Und dazu kam dann von mir der Matraketa Tranquil 2013 von Ficaria Vins, 100% Grenache ohne Sulfitzusatz und schon daher für iris besonders interessant.
Damit es nicht klappert, kam dann noch ein 2004er Clos Severí von Mas Garrian mit in das Paket, denn ich glaube, der etwas anarchistisch veranlagte Josep Garriga, der den Ökoweinbau von Beginn an lebt – aber konsequent ohne Vereinnahmung durch Behörden und Kontrollinstanzen, der passt rein menschlich sehr gut zur Person von Iris.
Da Paket kam nach einigen Wirren zwar auch an, aber die Wirren entwirrten sich leider nicht für die Iris. Ich kann es auch verstehen, wenn sie jetzt erstmal nicht so den Spaß an den Weinen hat oder nicht die Muße findet, darüber zu schreiben. Ich drücke ihr still die Hand in den für sie schweren Tagen…
PS: Die Weinrallye ist ein monatlich stattfindendes Blogevent, welches aber neben diversen Blogschreibern auch Weinfreunde hier im Weinforum und auf Facebook vereint. Zu einem vorgegebenen Thema schreibt, wer sich dazu angesprochen fühlt, ein Blog übernimmt jedesmal die Rolle des Gastgebers und sammelt alle Beiträge und fast diese zusammen. Diesmal ist der Blog 180° unserer lieben Susa der Ausrichter: http://hundertachtziggrad.blogspot.de/
Auch Susa konnte zu dem Zeitpunkt, wo sie die Moderation übernahm, noch nicht wissen, was ihr die Zukunft bringt – nun liebe Susa, an der Stelle wünsche ich dir einmal mehr die nötige Kraft, die du jetzt brauchst und dann viel (mehr) Gesundheit und alles Liebe für 2015.
PPS: Gestern abend, als ich den Wein an seinem 2. Tag im Glas hatte und darüber schreiben wollte, gab es irgendsoeinen brutalen Serverabsturz, so dass mein Blog für mehrere Stunden nicht aufrufbar war. Zum Glück haben die Techniker von Strato das schnell wieder hinbekommen, aber zunächst konnte ich statt hier erstmal nur auf unserem Weinforum schreiben. Aber dieses größte deutschsprachige Weinforum ist auch immer wieder mal wert, dass man es aufruft, also von dieser Stelle auch noch einen Link dorthin, wo sich auch noch mehr Weinwichtel- /Weinrallyebeiträge finden – aber auch der Rest ist sehenswert und man kann auch super mitdikutieren zu unser aller Lieblingsthema Wein.