Kinder ohne Wurzeln

BY IN Hinterfragt..., Kein Wein - kein Vergnügen 1 COMMENT

Für Nhi Le und all die anderen Kinder ohne Wurzeln

 

Vor dem „Rock around Barock“ in meiner Heimatstadt gibt es einen Poetry -Slam. Seit ich wieder hier gestrandet bin, schaue ich mir das gern an, vielleicht würd ich mich eines Tages sogar trauen, mit zu machen. Aber noch fehlen mir die Texte… Wer will da schon vom Priorat-Wein oder Klettersteigtouren hören…

Dieses Jahr begeisterte mich Nhi Jasmin Le aus Leipzig am Meisten. Die Art, wie sie die Massen zum Lachen brachte, ihr schräger Humor, mit dem sie sich auch selbst auf die Schippe nehmen kann. Dazwischen weise Worte einer jungen Frau, die in Thüringen aufwuchs und nun in Leipzig studiert. Aber vietnamesische Wurzeln hat…

Leider hat sie den Wettbewerb nicht gewonnen – für mich aber schon… – und sie hat mir eine Brücke gebaut, in meine eigene Vergangenheit.

Über ihr Leben, ihre Kindheit, ihr Schicksal weiß ich nichts, ja ich hoffe, es möge weniger schlimm gewesen sein als das, woran ich noch Tage später denken mußte. Denn vom Zeitfenster passt es haargenau.

Es war vor mehr als 10 Jahren, als ich in einem Projekt mit Asylbewerbern und „Geduldeten“ arbeiten durfte. Es war das zweite Mal, wo ich in das Thema: Migranten in Deutschland eintauchen konnte und beide Male waren diese Zeiten für mich bedrückend und beschämend, denn sie offenbarten mir die Bigotterie und Scheinheiligkeit der offiziellen deutschen Art und Weise, mit der deutsche Bürokratien im Auftrag der jeweils Regierenden praktische Ausländerpolitik machten (und ich bin mir sicher – leider immer noch machen)…

In dem regelmäßig von Polizeirazzien in Unruhe gehaltenem Heim für Asylbewerber und „Geduldeten“ gab es viele Kinder mit Fluchtraumata, aber auch Kinder, die hier in Deutschland geboren worden waren, wie die beiden Kinder einer Vietnamesin, die nach offiziellem Sprachgebrauch der Ausländerbehörde „kriminell“ war.

Nein, sie hatte niemanden umgebracht, hatte weder geklaut noch war sie in die Zigarettenmafia involviert, sie war lediglich unter falschem Namen nach Deutschland zurückgekehrt – man warf ihr vor, sie wolle sich Asyl „erschleichen.“..

Sie war zu DDR-Zeiten eine der vielen vietnamesischen „Gastarbeiterinnen“, in diesen Barackensiedlungen am Rande der Betriebe untergebracht, wo sie unter sich bleiben sollten, denn Ausländerintegration, dieses Wort gab es in der DDR nicht. Wozu auch? Der Kontakt sollte weitgehend beschränkt bleiben auf das, was mit der Arbeit zu tun hatte.

Das war mit den Afrikaneren und Kubanern genau so, und ja, mit den Russen auch. Irgendsoein Jubelfest, um nach außen zu demonstrieren, wie gut wir sind , wie international… Die Internationale zu singen, reicht, befanden die Altvorderen.

Die Ausländer hatten langfristige Verträge mit den DDR – Betrieben, aber dann kam die Wende und bald schon gab es weder DDR-Altvordere noch DDR-Betriebe mehr. Dafür aber z.B. Zehntausende in diesem neuen Deutschand gestrandete Vietnamesen, hier nicht mehr gebraucht, in ihrer Heimat nicht erwünscht. Und für die neue deutsche Diplomatie ein Problem. Man wollte das Problem wie gehabt mit Geld lösen… und so hatte auch „meine Vietnamesin“ nach der Wende eine Abfindung bekommen, um nach Vietnam zurückzukehren – mit dem Versprechen, es werde alles gut.

Wurde es aber nicht. Dort bekam sie als „Kapitalistin“ keinen Fuß in die Tür und war Aussätzige und Traktierte im eigenen Land, welches ihr zusehends fremder wurde. Sie bekam keine Wohnung und keine Arbeit, immer hieß es, sie habe doch Geld – gemeint war die D-Mark damit.. Aber auch das ist irgendwann alle, wenn jeder die Hände aufhält. Sie brachte aber vor allem die Erfahrungen einer freieren Gesellschaft mit in ein Land, welches eben nicht westlich geprägt ist, sondern schon auf eigene Weise „asia-kommunistisch“. Sie durchlebte ein Martyrium und war fremd in ihrem Herkunftsland. Wo beginnt politische Verfolgung? Was ist der Wille auf ein freies und leistungorientiertes Leben wert, wenn du in einem uniformiertem Land leben musst?

Daher wuchs ihr Wunsch, nach Deutschland zurück zu kehren. Sie sah in diesem ihrem Land keine Perspektive für sich. Schlepper rieten ihr zu einer Einreise unter falschem Namen, schürten die Angst vor schneller Abschiebung, denn sie hatte ja einen „Vertrag“…

Natürlich flog das auf und so bekam sie statt erhofften Asyls und dem Recht auf Arbeit nur den Stempel der Kriminalität und eine Duldung mit eng begrenztem Aufenthaltsgebiet und der Verweigerung einer Arbeitserlaubnis.

Sie bekam dann mit einem Vietnamesen, der in einem anderen Bundesland wohnte und sie immer mal besuchte, zwei Kinder. Sie hoffte jahrelang auf eine Art „Familienzusammenführung“, kam aber als „Geduldete“ nicht zu ihm – und er lebte letztlich dann lieber mit einer Frau zusammen, mit der er leben durfte und überließ die Frau mit ihren zwei Kindern ihrem Schicksal. Und das hieß ständige Gefahr vor Abschiebung, erneute Duldung, ein jahrelanges Hin und Her… Und immer nichts als ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftssanitärbereichen, mit dem Verbot auf Arbeit oder Beschäftigung belegt und angewiesen auf mickrige Almosen, die bei jedem „Vergehen“ gekürzt worden…

Die Kinder waren zu dem Zeitpunkt als ich die Minifamilie kennen lernte, heimatlose Nichtdeutsche, aber eigentlich auch Nichtvietnamesen, hatten Angst vor einer Abschiebung in ein Land, welches ihnen feindlich vorkam. Sie hatten von Klein auf zwei Sprachen gelernt, Vienamesisch von der Mutter und Deutsch in Kindergarten und Schule. Die „Große“ war damals in der 3. Klasse, war die beste Schülerin der Klasse, war gut im Sport und durfte in die Musikschule, sprach hervorragend deutsch und dolmetschte, wenn im Heim oder bei Behörden etwas auf Deutsch als „Amtssprache“ zu klären war.

Der „Kleine“ war in der ersten Klasse und eiferte seiner großen Schwester in allem nach.

Die Mutter wurde einmal mehr als Kriminelle stigmatisiert, denn sie machte im Heim kleine Dienste für andere Ausländer, verkaufte ein paar Lebensmittel mit geringem Gewinn weiter, um dadurch die Eigenbeteiligungen für den Sportverein und die Musikschule zusammen zu bekommen. Die Behörden warfen ihr somit Schwarzarbeit vor…

Einmal mehr drohte die Abschiebung und das fiel in die Laufzeit meines Projektes. Meine Mitarbeiterin und ich organisierten Unterschriftensammlungen gegen die Abschiebung dieser Familie, wandten uns an Flüchtingsrat und Landesregierung.

Am Ende hatten alle Eltern der Grundschule unterschrieben, alle Eltern aus Sportverein und Musikschule und weit mehr als 1.000 Unterschriften von Bürgern, die wir auf offener Straße ansprachen. In kürzester Zeit und mit dem Erfolg, das die Abschiebung einmal mehr ausgesetzt wurde.

Die Behörden des Landkreises dagegen spuckten Gift und Galle, unser Projekt wurde natürlich nicht weiter finanziert und dem Träger wurde mit Verlust der Fördermittel gedroht, sollte ich bei diesem Träger eine neue feste Anstellung bekommen. Aber wir haben damals ein Zeichen gesetzt und diesen Kindern geholfen, hier bleiben zu dürfen. Und das war das Einzig Wichtige, das kleine bisschen, was erreicht werden konnte….

Nhi Jasmin Le könnte vom Alter her dieses Mädchen gewesen sein. Sie ist es natürlich nicht, aber sie hat mir eine Brücke der Erinnerung gebaut – mit ihren Texten. Und ich bin froher Zuversicht, dass auch diese Kinder inzwischen hier bleiben dürfen und sich in dem Land zu Hause fühlen dürfen, in dem sie geboren worden sind. Ein wenig hat sich ja diesbezüglich zum Besseren gewendet. Die „Große“ könnte inzwischen auch in Deutschland studieren, vielleicht tut sie es ja auch in Leipzig…

Auch der Mutter wünsche ich, dass sie ihre Heimat findet oder längst gefunden hat – in dem Land, in welchem sie jahrelang „Geduldete“, aber Unerwünschte war.

Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir es endlich einmal schaffen mögen, Politiker an die Macht zu bringen, die im Umgang mit unseren – grade stetig mehr werdenden Gästen – einen menschlicheren Umgang miteinander zu schaffen. Durch Vorleben, durch Gesetze und Erlasse und vor allem durch den Umbau der jetzigen Ausländerbehörden – weg von der Verwaltungs und Stigmatisierungsbehörde hin zu einer Dienstleistungsbehörde, die in erster Linie hilft und nicht nach Einhaltung der Amtssprache fragt. Ich weiß, das ist nur einTraum und weit entfernt von dem konzeptlosen Chaos, welches wir grade erleben. Aber man wird doch noch träumen dürfen?

Viele der Menschen, die ihr Heil bei uns suchen, sind leistungswillig und leistungsbereit. Schaut hin und lasst sie sich integrieren, statt sie in Lager und Gemeinschaftsunterkünfte zu sperren. Gebt Ihnen Bildung, damit sie unsere Sprache und unsere Kultur lernen können, Begonnen werden muss damit bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen und nicht erst, wenn sie Asyl bekommen haben und auch nicht nur dann.

 

Jeder Mensch hat das Recht auf seine Chance. Er hat sie sich schwer erkämpft…

 

Soweit eine Geschichte aus meinem persönlichen Erlebnisschatz. Wer meint, so etwas gehöre nicht in einen Wein- und Genusserlebnis – Blog, der überlese es einfach. Dennoch finde ich es manchmal auch nötig, über den Tellerrand hinaus zu schreiben… gerade jetzt wieder, wo die offizielle Regierungslinie zu „Willkommenskultur“ aufruft, die ausführenden Organe aber konzeptionslos und überfordert scheinen und man die Kontenführung ganz fest hält, um sich nicht vom Projekt der schwarzen Nullen zu lösen.

Wer mag, darf unter Beachtung des Urheberrechts diese Geschichte auch gern teilen.

 

 

One Comment

  1. EinfachWein |

    Heikles Thema in diesen Zeiten. Aber eine mutige Aktion. Ich bin ein wenig hin und her gerissen: die Frau hat einen Fehler gemacht, klar, sie konnte nicht anders und wurde dafür sehr hart behandelt. Jeder von uns braucht eine zweite Chance!
    Aber wenn es nur Ausnahmen gibt, dann funktioniert ein System irgendwann nicht mehr. Eine Frage bleibt offen: warum wurde der Vater der Kinder nicht in die Pflicht genommen? Hätte er nicht helfen können? Wo war sein soziales Engagement?
    Danke für diesen Text, der in aller Zwiespältigkeit zeigt, wie es doch gehen kann.

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