An Tagen wie dem heutigen hört man traurige Lieder – fünfmal dieselben, zehnmal – Endlosschleife… Die Nachricht des heutigen Tages ist nicht für die fröhlichen Lieder gemacht…
Es ist kälter geworden, neblig noch dazu – ein ungemütliches Deutschland, in dem die Nachrichten Frost und Wehmut mitbringen, wo nur Erinnerung Kraft gibt, wo nur Vergangenes Freude zuläßt, wo Vergänglichkeit mit Macht Träume zerschmettert…
Walter hat diese Kälte gespürt, diese Ungemütlichkeit, in der er sich dennoch irgendwie eingerichtet hat. Er hat es in seinem langen Leben gelernt wie wenige andere, sich in Nischen einzurichten, seine Träume dennoch zu leben und unbeugsam und überzeugt seine Ideale zu bewahren, wie auch seinen Humor, seine Ehrlichkeit und seine Liebe zum Leben…
Walter war Kommunist – bis zum Schluß, egal was ihm andere, die sich Kommunisten nannten, ihm antaten.
Für mich war das nie schlimm, dass er Kommunist war, es hätte nie einen Abbruch getan. Im Gegenteil – er war mir auch darin Vorbild, zu seinen Idealen zu stehen. Auch wenn wir unterschiedliche Denkansätze hatten, wir waren uns in Wirklichkeit näher, als man meinen könnte.
Ohne Walter wäre mein Leben entschieden anders verlaufen und vieles in meinem Leben wäre nie geschehen, wenn wir uns nicht zufällig über den Weg gelaufen wären – er ist einer der Weichen stellenden Menschen, der mich entscheidend geprägt hat, dem ich mehr als vielen anderen zu verdanken habe und dem ich auch somit dankbarer als vielen anderen einen Ehrenplatz in meinem Leben einräume. Er war mein geistiger Vater, mein Vorbild und über Jahrzehnte ein wichtiger Freund, egal, ob wir uns sahen, schrieben, telefonierten oder zum Schluß mailten. Mit Walter ging es nie rückwärts, wir mussten uns nie fremdgeworden neu beschnuppern, wir setzten immer dort an, wo wir das Mal zuvor einen scheinbaren Abschluß gemacht hatten.
Er war quasi mein Entdecker, als wir uns im Frühjahr 1979 erstmals in der Dorfgaststätte zu Stackelitz im Hohen Fläming begegneten.
Er brachte mich einst einsames Kind zum organisierten Radwandersport, lud mich zum Sterntreffen im Mai 1979 nach Potsdam ein und war hinterher sozusagen der Mentor unserer neu gegründeten Coswiger Radwandergruppe.
Als ich 1980 17jährig mit meist gleichaltrigen Freunden ein ebenso großes DDR – Radsterntreffen organisieren wollte, stellten sich die DDR – Funktionäre gegen uns – zu jung, zu unbekannt, zu waghalsig das Ganze, und dann noch dieser undisziplinierte Hammer, dem sein damaliger Deutschlehrer das Motto schrieb „Hammer! Sie sind das fünfte Rad am Siegeswagen des Sozialismus!“, ne ne das geht gar nicht…
Es ging, Walter Ruge, Vorsitzender bei Turbine Potsdam hatte sich durchgesetzt. Seine 1915 geborene Stimme hatte 1980 Gewicht im DDR-Radwandersport, wo es sicher mehr „Rebellen“ als Parteibuchsozialisten gab. Der Rückenwind der Freiheitsliebe war bei Kletterern wie bei vielen Radwanderern derselbe. Walter war rebellischer Kommunist, nie Parteibuchsozialist.
Er fand auch die Bestrafung affig, die man uns einige Jahre später auferlegte, weil wir auf dem Darß im Zelt länger und lauter gefeiert hatten, als es der DDR-Grenzschutz wollte… Vielleicht weil er selbst mehr als genug ähnliche und weitaus schlimmere Bestrafung nach Denunziationen für das Vertreten seiner Meinung erhalten hatte.
Darüber hatte er nie gesprochen, ich erfuhr von seinem jahrelangen Aufenthalt in Stalins Gefängnissen und von seiner Verbannung erst durch sein Buch „Treibeis am Jenissei“. Und auch darin hatte er die Peinigungen dieser harten Jahre mit dem ihm eigenen Humor genommen.
Viel eher wußte ich von seiner Leidenschaft für Frankreich, bereits im Februar 1991 waren wir gemeinsam in Aniane – bei der ersten deutsch französischen Jugendleiterausbildung, die ich mit Angel Sario leitete und wo der damals schon Rentner Walter schlichtweg Teilnehmer war. Als Jugendleiter im Radwandersport wollte ihn in Potsdam bei Turbine dann plötzlich niemand mehr haben, schließlich war er ja ein Kommunist und das war jetzt einfach nur noch verpönt. Sein Verein, den er aufgebaut hatte, ekelte ihn schließlich heraus. Dass er so sehr Kommunist war, dass er unter Stalin aneckte wie unter Pieck, Ulbricht und Honecker, das ist die andere Seite.
Heute wollen sie ihn alle für sich am liebsten vereinnahmen – aber Walter ist frei und frei genug, zu wissen, wohin er geht…
Er lacht und winkt ab – er entscheidet, wer zu ihm finden darf. Ich vermisse ihn, umso schmerzlicher, da wir es nicht noch mal schafften, uns im Leben zu begegnen, am Telefon hatten wir uns schon verabredet und wenn es nur noch auf ein gemeinsames Kaffetrinken gewesen wäre – an einen so rasch nahenden Tod wollte Walter bei unserem letzten Telefonat nicht denken, im Gegenteil, das war nicht eingeplant…
Ich hoffe, ich darf später zu Dir finden – Adieu Walter…
Nachruf für Walter Ruge, einen der wirklich wichtigen Menschen in meinem Leben
geboren 07.06.1915
verstorben 10.11.2011