Einmal ins Ungewisse 2010 – 06.10.2010 (Teil 52) – Gruseln in Freyr (Belgien) – leider kein Horrormärchen…

BY IN Reisetagebuch eines genügsamen Genießers 3 COMMENTS , ,

Als ich nach einem wunderschönem Klettertag gegen 16.30 Uhr wieder auf den Parkplatz kam, war mein Auto noch immer das einzige auf dem Platz – und als ich am Auto selber war, bietet sich mir dieses Schreckensbild:

Mit einem Schlag habe ich einen total trockenen Mund, aber weder mehr Hunger noch Durst. Das Gefühl, Urlaub gehabt zu haben, ist verflogen und nur eine Emotion kommt hoch – unbändiger Hass auf jeden Menschen, der in der Lage ist, so etwas zu tun… Ich wünsche eigentlich niemandem etwas Schlechtes, aber an der Stelle bin ich geneigt, den- oder diejenigen, die hier am Werke waren, bis an ihr Lebensende zu verfluchen…

Natürlich ist nicht nur das Auto an sich demoliert, nein, auch das Radio ist sachgerecht ausgebaut, das abgenommene Bedienteil ist gefunden worden und noch so etliches mehr hat den Besitzer gewechselt und ist nun in den Fängen bösartigster Gauner. Dennoch sind sie nicht fertig geworden, denn die auf dem Rücksitz liegenden Sachen sind unversehrt und der Kofferraum ist nicht leergeräumt, obwohl Spuren des Einbruchsversuchs auch hier zu sehen waren.

Aber der Schaden ist auch so immens genug. Hoffentlich wissen die Täter nichts von der Hütte, denn dort hatte ich alles gelassen, was ich am Vorabend aus dem Auto geräumt hatte, um es zu benutzen, vom Schlafsack an über den Trangia bis zu einem Großteil der mitgenommenen CD´s und einem kleinen tragbaren CD Player mit Boxen.

Fix gucke ich zur Hütte, aber hier ist glücklicherweise alles so, wie ich es verlassen habe. Was nun tun?

Als erstes gehe ich zum Restaurant Chamonix schräg gegenüber und bitte darum, die Polizei zu informieren. Die drei älteren Männer, die draußen saßen und die Wirtin sagten mir, dass vor ca. einer und einer halben Stunde ein Auto mit Jugendlichen wie wild immer im Kreise auf dem Parkplatz gefahren sei – so als wollten sie grade Aufmerksamkeit auf sich ziehen (oder ablenken?). Dann gab es plötzlich einen starken dumpfen Knall – und dann war Ruhe. Sie gingen natürlich nicht hinüber auf den Parkplatz, was wollten sie gegen wenigstens 5 Jugendliche auch ausrichten…

Die Polizei hatte keine Zeit, zu mir hoch zu kommen, ich möge zur Polizeistation nach Dinant runter kommen, um Anzeige zu erstatten.

In Anseremme halte ich bei einer Werkstatt, damit sie mir eventuell helfen – der Werkstattbesitzer möchte das sofort tun, weil er schon fast Feierabend hat und sicher, wenn ich von der Polizei zurück bin, wäre er schon weg.

Er bekommt die Tür auch nicht mehr 100%ig gradegebogen und verschließt alles nur provisorisch mit einer Plastikfolie. Die Tür müsse komplett ausgewechselt werden.

Er will dann 15 € und ich eine Quittung, denn ich denke mir, wozu soll ich das bezahlen, wo ich doch eine Versicherung habe – okay, aber dann kostet es 20 € wegen der Steuer… Aha…! Les Belges sont les plus braves… (Hätte ich gewußt, dass mir die Versicherung diese Kosten nicht wieder erstattet, hätte ich natürlich auf die Quittung verzichtet und das Geld gespart, aber schlauer ist man erst hinterher – auch grade, was den Versicherungsservice angeht…)

Bei der Polizei gibt man sich wortkarg, aber in militärisch zackigem Tonfall. Den kompletten Schaden möge ich erst in Deutschland bei den Kollegen zur Anzeige bringen, wegen der sprachlich besseren Verständigung und überhaupt…. Man fertige ein Formular darüber. Fotos und Details interessieren nicht, ob ich verheiratet bin, dagegen schon…

Kurz vor Ladenschluss kann ich im Supermarkt schnell noch ein paar Sachen grabschen, die ich für das Abendessen brauche, der Hunger kommt jetzt doch langsam – jaja die profanen Bedürfnisse.

Wieder auf dem Parkplatz angekommen, mache ich nochmals kehrt und parke am Chamonix, um der Wirtin zu sagen, sie möge am nächsten Tag wegen der Zeugenaussage bei der Polizeidienststelle anrufen. Ich werde auf einen Kaffee eingeladen und bekomme angeboten, mein Auto quasi auf dem Chamonix – Hof zu parken anstatt auf dem Parkplatz – nicht dass die Ganoven des Nachts nochmals kommen und den Rest ausräumen…

Es ist bereits dunkel, als ich wieder zur Hütte rübergehen will, zu allem Übel hatte Yvonne mich noch angerufen, weil sie mir eigentlich sagen wollte, dass meine Mutter ins Krankenhaus gekommen ist, sie aber keinerlei Aussage zu ihrem Zustand bekam. Wenn es kommt, dann richtig.

Auf dem Parkplatz höre ich plötzlich mehrere Stimmen junger Männer und lautes Gelächter, sehe aber keinerlei Taschen- oder Stirnlampen – vorhin, als ich kam, war da noch niemand. Vorsichtshalber schleiche ich mich von hinten durch den Wald über den kleinen Pfad zur Hütte, anstatt im Dunklen an den jungen Männern vorbei zu gehen. Weiß ich ja nicht, ob es harmlose Kletterer sind oder wer auch immer. Wenn es harmlose Kletterer sind, werden sie sich schon Licht machen und zur Hütte kommen oder in Richtung Zeltplatz verschwinden.

Dummerweise ruft Yvonne gleich noch mal an, ich flüstere ihr zu, sie soll es in ein paar Minuten noch mal probieren, wenn ich in der Hütte wäre. Die Hütte ist nach wie vor unberührt und ich halte die Hand vor das Licht meiner Stirnlampe, um mich grob zu orientieren. Das Licht der Hütte anzumachen und zur Tagesordnung überzugehen, das traue ich mich nicht, solang ich nicht weiß, was ich von den Typen auf dem wenig entfernten Parkplatz halten soll.

Yvonne will mir eigentlich einen Vortrag über meine wohl mal wieder unvernünftig gewordene Mutter halten, aber ich schildere ihr die Situation, in der ich jetzt stecke und spüre, sie hat in Bernburg ebensolche Angst, wie ich sie langsam bekomme. Sie rät mir auch, bloß nicht mit Licht Aufmerksamkeit zu erregen, indem ich beginne, Mittagessen zu machen – ähm inzwischen könnte ich das ja auch als Abendbrot bezeichnen.

Nach dem Anruf mache ich ganz leise das Fenster auf und versuche, zu lauschen. Die Typen rennen auf dem Parkplatz rum, noch immer ohne jegliches Licht, lachen und rotzen herum und feiern quasi. Sie reden recht laut, ich unterscheide mindestens vier oder fünf Stimmen, aber ich verstehe die Sprache nicht – französisch ist das nicht, auch nichts anderes, was ich zuordnen könnte. Es klingt eher nach Osteuropa. Sie kommen nicht näher, aber sie sind präsent. Von der Existenz der offenen Hütte scheinen sie nichts zu wissen, von daher werden es kaum Kletterer sein, denn diese wissen um die Übernachtungsmöglichkeiten hier. Auch wenn sie aus dem Ausland kommen. Ich hatte schließlich nicht nur mit der belgischen Armee und Kletterern aus Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich schon die Hütte geteilt, sondern auch mehrfach mit sehr netten Leuten aus der Slowakei, Polen und der Tschechischen Republik. Und immer waren es nette und unbekümmerte Abende hier am großen Tisch.

Aber heute schien es alles etwas anders zu sein. Die Typen, die ich nicht zuordnen konnte, waren drau0en und ich war hier drin mit all meinen mir wichtigen Sachen, traute mich, weder Lärm noch Licht zu machen und hatte Schiß, wirklich erstmals im Leben richtig Schiß. Dagegen ist solo Klettern gehen selbst in ausweglos scheinenden Situationen immer noch ein Sonntagsspaziergang.

Ich war plötzlich wieder mitten im realen Leben, in dem es, jawohl, auch so ziemlich böse Menschen gibt, die Erfahrung mit bösen Menschen hatte ich heute erst wieder gemacht und ich wußte nicht, ob sie bereits ausgestanden ist… Zwar gibt es mehr anständige und nette Leute in meinem Leben, aber jeder Böse, der mich findet, ist mir einer zuviel. Und das Böse ist real existent und überall unterwegs, es muss dich nur finden. Hier sollte es mich jetzt nicht finden. Ich sitze in der Ecke, habe die Vorhänge vorsichtig zugezogen und dunkle das Licht meiner Stirnlampe erneut mit der Hand ab, als ich nach dem Polizeibericht wegen einer Telefonnummer suchen will, es gibt auch eine, aber es fehlt die belgische Landesvorwahl, die ich natürlich nicht im Kopf habe. Ich hoffe auf den Kletterführer, aber auch da steht keine drin, auch keine Polizeinotrufnummer… Also erneut Yvonne anrufen, die schon genauso am Limit ist, wie ich es bin. Sie gibt mir die Landesvorwahl durch, ich schnappe mir die Papiere und meine allerwichtigsten Sachen und horche erneut nach draußen. Kein Gerede mehr, aber irgendwer schlurft da über die Kieselsteine und rotzt in Sekundenabständen dort rum. Sie sind noch da, aber was machen sie?

Ich schleiche mich vorsichtig wieder aus der Hütte und über den kleinen Pfad durch den Wald zur Straße. Dann gehe ich zum Chamonix und steige ins Auto – mein Plan: auf der Straße ins nächste Dorf fahren, dort wenden und so auf den Parkplatz fahren, dass die Typen nicht gleich die beschädigte Seite meines Autos sehen, gucken, wie viele es sind, was sie dort tun und ob vielleicht gar ein schwarzes sportlich aussehendes Auto dabei ist, was die Rentner mir beschrieben als Ablenkauto von heute nachmittag… Vielleicht auch ein Autokennzeichen sehen…

Gedacht, getan. Als ich von dem Dorf zurück komme, steht am Straßenrand, da wo die Auffahrt zum Parkplatz aus Richtung Dinant ist ein Auto voll aufgeblendet und als ich von der anderen Seite auf den Parkplatz fahre, fährt auch dieses Auto los und auf den Parkplatz. Instinktiv befällt mich die Angst, was wäre, wenn dieses Auto dazugehört. Ich leuchte ein schwarzes sportliches Auto an, was genau an der Stelle in der letzten Ecke steht, wo vorher meins stand. Vom Rücksitzfenster kommt ein Kopf hoch und guckt. Da pennen also die Typen im Auto? Ein Nummernschild kann ich nicht sehen, weil das Auto quer steht, ich will auch nicht näher ran, denn das andere Auto kommt auf mich zu, also schnell drehen und wieder in Richtung des Dorfes. Das andere Auto vom Straßenrand nimmt die Verfolgung auf…

Ich krieg noch mehr Schiß, behalte aber die Nerven und fahre schneller als erlaubt in das Dorf rein, wo ich mich etwas auskenne. In einer engen Doppelkurve geht halbrechts eine Seitenstraße ab, die ist mein Ziel. Motor aus, Licht aus, abducken, das ist alles eins. Das mich verfolgende Auto fährt auf der Hauptstraße weiter.

Ich versuche, die Polizeistation in Dinant anzurufen. Eine freundliche Anrufbeantworterstimme erklärt mir, ich rufe außerhalb der Dienstzeit an… Danke! Erneut Yvonne anrufen, die mir eine Notrufnummer mitteilt. Dort anrufen – kein Anschluss unter dieser Nummer, okay, ich hatte die belgische Landesvorwahl mitgewählt. Ich als nicht Handy Nutzer weiß nicht, dass man die beim Notruf wegläßt, erfahre das dann aber durch Ausprobieren.

Man leitet mich weiter an einen deutsch sprechenden belgischen Polizisten, der sich wundert, dass ich „da ganz hinten“ in Belgien stecke, er dachte deutsche Kletterer gehen in der Umgebung von Liège klettern. Er spricht mir Mut zu und meint, es war richtig von mir, ich solle zum Chamonix zurück fahren und dort warten, er schicke jemanden hoch zu mir.

Ich fahre dorthin zurück und erneut steht ein Auto voll aufgeblendet, da, wo vorhin auch eins stand, ich vermute ganz stark, es sei derselbe – seltsam ist mir das schon. Ich fahre an dem Auto vorbei und dann auf den Hof vom Chamonix, steige aus, ohne die Tür zu zu knallen und schleiche mich an der Hecke entlang und beobachte das Fahrzeug am Straßenrand. Dieses steht da und wartet… einzelne Autos kommen immer mal aus beiden Richtungen, nichts passiert. Irgendwann hört man eine Kolonne von Fahrzeugen aus Richtung Dinant den Berg hoch schnaufen, da setzt sich das Fahrzeug vom Straßenrand in Bewegung und fährt nicht auf den Parkplatz, sondern in Richtung Dorf.

Einige Zeit später kommt auch die Polizei mit zwei Kleinbussen voll Einsatzkräften. Wir unterhalten uns und auch die Wirtin des Chamonix kommt nochmals raus und macht sogleich ihre Aussage. Die Polizisten verstehen meine Angst und fahren auf den Parkplatz. Es dauert eine ganze Weile, bis sie weiderkommen, einer der Busse hält nochmals bei uns an, um aufzukären, dass in dem schwarzen Auto drei junge Männer aus Polen wären, die angeblich auf der Durchreise von Polen in die Bretagne seien und die da auf dem Platz nur schlafen wollten…

Was machen drei junge Polen, keine Kletterer, abseits jeglicher Strecke von Polen in die Bretagne in dieser Pampa, um ausgerechnet hier auf diesem abgelegenen Insiderplatz zu nächtigen? Und wieso drei, ich hatte vier, vielleicht eher fünf verschiedene Stimmen gehört… Wenn das andere Auto doch dazu gehört? Das, welches Wache schob und jetzt abgehauen war… Irgendwie wollte ich dennoch nicht zurück in die Hütte und allein dort schlafen… Klar, alles können Zufälle sein und ich verdächtige hier harmlose Polen, aber mir ist nicht sonderlich wohl.

Die Frau vom Chamonix hatte mir inzwischen vorgeschlagen, ich könne dort im Garten mein Zelt aufschlagen und das will ich jetzt dankbar annehmen. Ich bitte die Polizei, mir Schutz zu geben, bis ich alle Sachen aus der Hütte hätte und der Polizist schlägt vor, wir fahren mit dem Polizeifahrzeug rüber auf den Parkplatz – sicher ist sicher…

Die Jugendlichen reagieren genervt, als das Polizeiauto erneut auf den Parkplatz fährt, dann sehen sie mich mit einem Polizisten im Dunkel verschwinden und aus dem Dunkel wiederkommend, Sachen ins Polizeiauto verstauen. Nachdem dritten, vierten Gang beginnen sie zu lachen und sich über mich lustig zu machen. Der Polizist spielt mit und es sieht so aus, als wäre ich der Gesuchte… Ich lasse die Polen in diesem Glauben und als ich dann alles wegräume, das Zelt aufbaue und ans Kochen denken kann, fällt die nervliche Anspannung, in der ich seit Stunden bin, endlich langsam von mir ab. Leide ich jetzt schon unter Verfolgungswahn oder sind meine Sorgen berechtigt? Egal, ich genehmige mir zwei meiner belgischen Biere und fange kurz vor Mitternacht an, mir Nudeln zu kochen.

Das ist ebensowenig die hohe Schule der Trangiakochkunst, wie der Wein, den ich öffne, die hohe Schule der Winzerkunst ist. Weiß der Deibel, wieso ich ausgerechnet an jenem Tag einen Italiener auf dem Fokus hatte, den ich mal geschenkt bekam – einen 2003er Merlot von Santa Margerita, der mit seiner künstlichen, fast kitschigen Frucht schon unter Einrechnung eines Streßbonus maximal gute 85/100 Th wert ist.

Und weil es noch nicht genug ist, fängt es natürlich pünktlich zum Essen auch noch wieder an mit regnen…

3 Comments

  1. jens |

    Hi Torsten!

    Die Art und Weiße wie man Deine Tür geöffnet hat nennt man im Fachjargon Polen – oder Rumänenknick. Würde dann ja passen…..

    Man setzt einfach ne‘ Brechstange oben an der Tür an und hebelt dann ganz einfach die ganze Tür auf.

    grüße jens

    Antworten
  2. thapricus |

    Hallo Jens,

    Nur scheint da dann wohl leider die belgische Polizei noch nichts von gehört zu haben… Ich vermute ja auch immer noch, dass die beiden Autos zusammen gehörten und dass in dem, was an der Straße als „Wache“ stand, vielleicht das ganze Diebesgut gewesen wäre. Und die anderen schlafen eine Runde in der dunklen, abgelegenen Ecke – irgendwann hätte man sich abgewechselt…

    Wenn dem wirklich so war, war meine Panik sicher nicht ganz unangebracht.

    Der Schaden hat sich im Nachgang dann auch als wirtschaftlicher Totalschaden herausgestellt.

    Beste Grüße zurück

    Torsten

    Antworten
  3. jens |

    Sieh es positiv Torsten – Du kannst Dir nen‘ neues Auto gönnen…..

    ;-)))

    grüße jens und Kopf hoch!

    Antworten

So, what do you think ?