Zunächst gibt es zwei völlig unterschiedliche Angaben zu diesem Klettersteig. Auf der Webseite über die Klettersteige Frankreichs spricht man von PD (peu difficile = wenig schwierig) im unteren Teil, dann von D (difficile = schwierig) für den zweiten und von TD (tres difficile = sehr schwierig) für den Ausstieg über die Leiter.
Das Prospekt des Touristenbüros spricht dagegen von D für den unteren und D bis D+ für den oberen Teil. Nur beim Ausstieg über den Überhang ist man sich mit ED (extremement difficile = extrem schwierig) wieder einig. Aber auch die Höhenangaben und die Angaben zur Zeit für die Durchsteigung differieren stark.
Was bleibt also weiter übrig, als den Steig selbst zu machen und sich dabei seine eigene Meinung zu bilden…
Gut, wir hätten diesen recht langen und eindrucksvollen Steig auch gemacht, wenn es bei den Publikationen Einigkeit gegeben hätte.
Der Fels ist vom Ort gut zu sehen, man kann von vielen Stellen aus die Kletterer beobachten. Ob man auf dem offiziellen Parkplatz in praller Sonne parkt oder wie wir im Schatten etwas außerhalb und 10 Minuten einfachen Fußweg im Tal mehr in Kauf nehmend, ist letztlich Geschmackssache. Bei einem Tag mit mehr als 30° wie dem heutigen aber ist auch das Auto über Schatten dankbar (und vor allem die Lebensmittel drinnen…)
Wir nehmen diesmal gleich die Straße am Fels – hier steht dann auch schon das Schild, welches auf die Via hinweist. Es geht aber doch erst mal 5 bis 10 Minuten steil durch den Wald begauf, bevor man an den Startpunkt kommt.
An einem Hitzetag wie diesem sollten nur fitte und erfahrene Leute an die Wand gehen, mit jemand, der nicht gut drauf ist oder mit blutigen Anfängern sollte man den Steig nicht machen, Auch für Kinder ist er nichts, es sei denn sie sind schon entsprechend eintrainiert. Der Steig liegt fast immer der prallen Sonne ausgesetzt, Schatten ist kaum zu finden. Entsprechend heiß sind Felsen und vor allem auch die Eisen (Ich habe immer noch Schwielen an den Fingern! Wobei die nicht allein von diesem Steig kamen). Auch ich werde hier absolut an mein Limit kommen und es ist verwunderlich, dass ich mir keinen Sonnenstich eingefangen habe.
Gleich unten geht es nach einer schrägen Einstiegswand zur Sache, eine Affenbrücke muß überwunden werden und anschließend folgt gleich ein Tanz um die Kante und Nervenschwache sollten schon an der Stelle aufgeben, sich auch nur die Fotos anschauen zu wollen.
Es folgen viele anspruchsvolle Wegpassagen mit kleinen Überhängen, atemberaubenden Querungen, sehr steilen Wänden und wie gesagt im Prinzip nie Schatten… Die einzelnen Sektoren sind beschildert, man kann also anhand des Topos erkennen, wo man grade ist. Die Abschnitte ziehen sich allerdings auch arg in die Länge, kein Wunder, man muss von ganz unten nach ganz oben und mit jedem Blick nach unten auf den Ort wird dieser immer kleiner und puppenhafter und wir kommen dem blauen Himmel näher. Es bleibt die ganze Zeit luftig, sehr luftig – „beaucoup de gaz et de frisson“ – wie der Franzose sagt.
Erst nach etwa zwei Dritteln des Weges kommt der erste Angsthasenausstieg, wer vorher nicht mehr will oder nicht mehr kann, für den sind schnell alle Messen gesungen. Umkehren geht nicht bzw. wäre ein Unterfangen des Wahns.
Wir steigen aus, denn dort ist Waldschatten. Jörg läßt hier definitiv einen Sack hängen, er denkt gar nicht über ein Wiederaufnehmen der Route nach. Er ist einfach nur froh, es bis hier geschafft zu haben und ist berechtigterweise stolz auf sich. Ich dagegen hadere mit mir, wenn ich hier aufhöre, dann würde ich mich ohne Ende ärgern. Zum anderen macht mich die Hitze völlig fertig und ich benötige einige Zeit, um mich zu regenerieren, mich ein wenig runter zu kühlen und die Atmung und den Kreislauf wieder auf halbwegs normal zu bringen. Doch dann weiß ich, ich muss es tun und durchsteigen. Einfach fürs Ego, um zu merken, dass ich noch lebe – richtig die Adrenalinsau rauslassen…
Ich steige wieder ein, beschließe allerdings, dass mir oben die Leiter reichen wird und ich über den ED- Überhang aus Vernunftgründen nicht nachdenken werde. Eine weise Entscheidung, denn schon bald koche ich wieder richtig gut hoch. Gut, dass es zwischendrin die Vire d´la Sieste gibt – auch wenn ich hier nicht Siesta halten möchte, aber ein kurzes Innehalten. Ich merke, dass der Steig, aber vor allem die Hitze die Kräfte rauben und ich habe auch überhaupt keine Lust mehr, den oberen Teil noch fotografisch festzuhalten – und das nicht nur, weil mir ein Model fehlt. Ich würde wohl eh jedes Bild verwackeln, so sehr zittere ich inzwischen – nur noch durch, der Adrenalinkick ist schon jetzt da, das physische Limit bald erreicht… Steigen ohne nachzudenken, aber mit weit aufgerissenen Augen, um alles aufzusaugen, jeden Meter dieses geilen, aber fordernden Aufstieges…! Sehen, wie man der Leiter näher kommt. Sehen, wie nach unten alles unwirklich klein wird und wie man selbst nur noch ein bunter Punkt in der Wand ist.
Vor der Leiter die Entscheidung – hier aussteigen, rüber zum Überhang oder die große Inversleiter hoch, die mich kurz auflachen lässt… Nein, Aussteigen ist absolut keine Option, aber für den Überhang hätte ich jetzt weder Kraft noch Nerven. Also die Leiter – und die ist schon verrückt genug, erst wer davor steht, sieht die wirkliche Höhe und die Crux dieser Himmelsleiter. Man steigt mit dem Rücken zum Fels und mit dem Blick in den Himmel oder die Hölle – wenn man runter schaut.
Ganz oben dann ein beherzter Spreizschritt, um wieder an die Wand zu kommen, egal, das Hirn hat sich eh abgeschaltet zu diesem Zeitpunkt – es geht alles nur noch rein mechanisch, auch die etlichen Höhenmeter, die hinterher noch in leichter Kletterei überwunden werden müssen, der Steig wird hier zum Via Cable. Man nutzt zum Greifen und Treten den Fels, es ist aber immer einfache Kletterei (2+ bis 3).
Dann oben das Schild „La Vue est magnifique et l´Esprit vagabonde“ – ich genieße zwar kurz diesen Blick, aber dann will ich nur noch in den Schatten. Auch hier bleibt der Fotoapparat unbenutzt, ich zittere, koche und japse vor mich hin…
Die Sonne knallt, ich habe nichts mehr zu trinken und ich will nur noch runter. Aber auch das ist nicht so einfach, denn bis zur Höhe von Jörgs Ausstieg ist es eher ein Abklettern im Klettersteig als ein Wandern – einfaches, gemütliches Wandern wird es bis unten nicht. Der Abstiegssteig würde schon ein PD rechfertigen, grad bei dieser Hitze. Es gibt immer wieder auch U-Eisen und die Sicherungsseile gehen komplett bis zum Zwischenausstieg, aber auch weiter unten folgen noch einige Steilpassagen mit Seilsicherung.
Alle paar Minuten brauche ich jetzt eine kurze Pause, immer wenn mal Schatten ist. Ich bin nur noch am Kochen und muss regelrecht aufpassen, nicht überzukochen oder einen Konzentrationsfehler zu machen. Mich zieht nur noch der Gedanke an viel Wasser zum runterkühlen und ein oder zwei richtig kalte Biere… Zugleich aber bekomme ich schon seit der Leiter das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht und das wird sich auch für die nächsten Stunden nicht ändern.
Für diesen Adrenalinkick vergebe ich insgesamt 19+/20, das D bis D+ ist schon angemessen eingeschätzt, vor allem bei solcher Hitze, aber selbst unter Normaltemperaturen. Der Steig ist nicht ganz ohne und rechtfertigt an sich schon die Tour hierher. Ein Muss für Klettersteigfans.
Hier die ersten Fotos zum Steig:
Erster Blick auf Thônes…
… und auf die Pont de Singe – „Le Pont du Calvaire“.
Jörg steigt die Einstiegsmauer hoch. Ich habe ihn dann voran gehen lassen, der besseren Fotomotive wegen.
Hier steigt er zur Brücke hinab. Beobachten wir ihn bei der Überquerung der Brücke…
Nun hat er es geschafft und darf gleich um die Kante tanzen.
Lassen wir noch fix die beiden jungen Franzosen vorbei…
Und dann geht es auch für mich hier rüber. Jörg wartet hinter der Kante, läßt die beiden Franzosen und auch mich wieder vorbei – wie es dann mit den Fotos weitergeht, kommt im nächsten Post, den ich gleich im Anschluß einstelle…