Penultimo – ins Priorat und zurück 2024
Teil 1 – 17.04.2024
Am Tag zuvor musste ich einmal mehr ins Krankenhaus nach Wittenberg, um ein neuerliches CT machen zu lassen. Gleich heute habe ich den Termin zur Auswertung.
Der Professor kommt ohne Umschweife zum Thema – der Tumor hat sich erneut gebildet und beginnt zu wachsen. Dieses Mal irgendwo im „luftleeren“ Raum, zwischen dem Rückenmark und den Arterien, er hat kein Organ befallen, wo man operieren könne. Der Tumor sei nicht operabel, macht er mir klar, man könne nur mit einer zeitnahen Chemotherapie dagegen halten. Er empfiehlt mir, darüber nachzudenken. Später in seinem Arztbericht werde ich die Floskel „palliative Chemotherapie“ lesen müssen. Das Wort palliativ vermeidet er aber im Gespräch mit mir.
Auf meine Frage, was die Konsequenzen bei einer Entscheidung dafür oder dagegen wären sagt er mir: Bei einer Entscheidung dagegen hätte ich wohl nicht mehr so sonderlich lange zu leben. Die Chemotherapie dagegen könne meine Lebenszeit verlängern. Ich frage, in welchem Zustand die verlängerte Lebenszeit zu erwarten wäre. Er windet sich bei der Antwort mit der vagen Aussage, man könne das nicht genau vorhersagen. Er wolle die möglichen Nebenwirkungen nicht klein reden, könne bezüglich der Lebensqualität aber auch nichts versprechen, außer, dass ich länger am Leben bleiben würde.
Aber was soll ein längeres Leben, wenn es kein Leben mehr wäre, sondern ein Dahinsiechen, ein Leben als schwerer Pflegefall? Mir fällt meine Mutter ein, die im Pflegeheim 5 lange Jahre lang auf Raten gestorben ist, die aber nicht einen Tag lang nach ihrer Wiederbelebung nach dem Schlaganfall ein Leben in vernünftiger Lebensqualität hatte. Mir fallen Freunde und Bekannte ein, die nach ihrer Krebsoperation eine Chemo gemacht haben. Erst hatte sie jede Chemositzung komplett aus allen Bahnen geworfen, dann kamen Nebenwirkungen, andere Folgeoperationen und die damit einhergehende Verschlechterung des Lebens – wer außer denen, die Rechnungen darüber schreiben dürfen, hat davon etwas? Für denjenigen ist das Siechtum nur noch Leiden statt Leben, die Angehörigen und Freunde leiden mit und auch für sie bedeutet das ein Verlust ihrer eigenen Lebensqualität.
Was, wenn nichts mehr geht, wie es gehen soll? Was, wenn das Leben nur noch aus gelebter Vergangenheit besteht, wenn es weder Gegenwart mehr gibt und die Zukunft nur immer düsterer wird? Wenn es keine Heilung gibt und die Verlängerung des Lebens nur längeres Leiden bedeutet?
Will ich das wirklich riskieren? Es würde jemand helfen, der mir zuredet, weil die Chemotherapie Heilung gebracht hat und keine zusätzlichen Komplikationen. Bislang habe ich niemanden gefunden, der mir derart zureden konnte – aus eigener Erfahrung oder positiver Erfahrung im nahen Umfeld.
Ich schlucke und weiß, ich werde mich mit dem Tod anfreunden müssen. Andererseits will ich den Umstand nutzen, dass ich noch beschwerdefrei bin. Ich spüre – ICH MUSS INS PRIORAT reisen. Und wenn es das letzte Mal sein sollte. Ich darf wieder Sport machen, die Schonfrist nach der Leistenbruch-OP ist vorbei, ich darf wieder heben, Rad fahren, mich richtig bewegen. Ich WILL NOCH EINMAL KLETTERSTEIGE probieren, zu gehen. Natürlich bin ich in einem noch miserablen Trainingszustand, habe schon wieder 10 kg abgenommen und habe nun weniger auf den Rippen, als ein Normalgewichtiger. Werde ich die Kraft aufbringen können, die ich brauche? Ich muss es probieren.
Ins Priorat fahren, um Antworten auf die Frage zu finden, was ich machen soll bei meiner Wahl zwischen zwei Seuchen – für die Pest votieren oder mich der Cholera hingeben?
Mir wird aber auch klar, dass es auf dieser Tour andere Prioritäten geben muss. Den Job, mich neuen Projekten im Priorat zu widmen, den wird nun jemand anderes übernehmen müssen oder niemand. Für mich wird es Zeit, Adieu und Danke zu sagen für dieses Leben, was nie leicht, aber stets spannend war. Einmal noch die geliebte paradiesische Gegend erleben, einmal noch die Fahrt runter und rauf genießen, einmal noch den einen oder anderen Winzer herzen und natürlich auch den einen oder anderen Wein probieren, aber ohne mich dem Stress mehrerer Tage voller großer Proben aussetzen zu müssen.
Lösungen finden, wie der eine oder andere treue Kunde weiter zu seinem Öl und seinen Lieblingsweinen kommt, aber in dem Bewusstsein, dass es nicht mehr geht, wie bisher, mir neue Weine in den Kellerbestand zu legen. Dieser Kellerbestand ist dank der Krisen der letzten Jahre beängstigend groß und selbst, wenn ich entgegen jedem Willen meinerseits den einen oder anderen Restposten nun schon zu einem günstigeren Preis anbiete, so sehe ich doch nicht ein, die Geier unter den Schnäppchenjägern zu füttern, die Weine erst kaufen, wenn der Preis Verlust für den Verkäufer bedeutet. Wer stets nur danach giert, dem mangelt es entweder tatsächlich am verfügbaren Geld oder er hat keinerlei Wertschätzung, weder für den Winzer, noch den Händler.
Dass man heutzutage Weinhändlern oft nur wenig Wertschätzung entgegen bringt, dass ist ein Umstand, an den ich mich gewöhnen musste. Aber zum Glück habe ich auch etliche dankbare Kunden, die sich freuen, den einen oder anderen Wein zu bekommen, die mir positives Feedback zu meiner Arbeit als Prioratführer geben, aber auch zu den von mir ausgewählten Weinen, vor allem zu denen, die bei ihrem echten Preis dennoch als Schnäppchen gesehen werden. Weil es anderes gibt, was nicht besser, aber deutlich teurer ist, weil man wert schätzt, dass ich versuche, die wahren Perlen hinsichtlich der Preiswürdigkeit zu finden. Kunden, vor denen ich mich nicht ständig rechtfertigen muss, dass auch ich Lebenshaltungskosten habe. Kunden, die auch mir mit ihren Käufen Wertschätzung entgegen bringen… Kunden, die dankbar sind und denen ich dankbar bin. Kunden, bei denen die Begeisterung, die Leidenschaft das verbindende Element ist…
Ich erbitte mir Bedenkzeit bezüglich meiner Entscheidung. Ich fahre nach Hause und wälze den Atlas und suche in der Klettersteigdatenbank nach möglichen Klettersteigen. Für Verkostungen auf der Fira melde ich mich erst mal nicht an, denn ich will mich nicht stressen müssen, möchte frei entscheiden, wie lange ich für die Fahrt brauche. Vielleicht sind mehr Pausen als gedacht nötig, vielleicht gebe ich mich der Spontanität hin, diese Reise soll das Gute und Schöne mit dem Notwendigen verbinden. Gut sind die Begegnungen, die Strecke, das Entdecken, die Aktivitäten. Schön ist die rausgesuchte Route, die mich an einigen Lieblingsplätzen vorbei führen soll.
Notwendig sind die ehrlichen Gespräche mit meinen Winzern und meinem Olivenbauer – darüber, wie es gehen könnte, auch wenn jeder weiß, es ist nicht die beste Möglichkeit. Auch bislang habe ich Weine in Vorabreservierung angeboten, letztes Jahr sogar das knapp gewordene Olivenöl, aber ich habe von den Einnahmen aus Vorabreservierungen auch einen Kellerbestand finanziert und damit tatsächlichen Gewinn für mich nach hinten geschoben für den Moment, wenn sich was aus dem Bestand verkauft, was schon bezahlt ist.
Im Wissen aber, dass es derzeit schwer ist, Weine aus dem Bestand zu Gewinn zu machen, muss ich darauf verzichten, neue Weine in den Bestand zu legen. Also wird es nur noch Vorabreservierungen geben. Das kann dann zur Not auch nach meinem Ableben noch durch gute Freunde abgewickelt werden, denn das macht weniger Aufwand, als dann den Restbestand los zu werden…
In einer ziemlichen Geschwindigkeit steht der diesjährige improvisierte Reiseplan, nun noch alles liegengebliebene fertig machen und dann ab…
Am Wochenende ruft Yvonne mich an. Sie hatte das Ganze auf Arbeit erzählt und darauf hin das Angebot bekommen, sie könne ihre Überstunden abbauen und mich begleiten. Dana ist froh, zu wissen, ich muss nicht alleine fahren – sie selbst könnte es zeitlich nicht hinbiegen, so lange mit mir zu verreisen. Auch wenn ich meiner geliebten Dana gerne das Priorat zeigen würde…
Auch ich bin letztlich froh – einerseits würde ich auch allein das Ding so durchziehen, aber mit einer guten Freundin wie Yvonne, die in vielem ähnlich tickt, was das frei campen und die Begeisterung für Frankreich und das Priorat angeht, die viele der Winzer seit Jahren kennt und die Weine ebenso mag, die auch den Klettersteigen nicht abgeneigt ist… – das macht es dann doch leichter und nimmt Ängste, was wäre, wenn es mir unterwegs doch nicht so gut geht, wie gedacht… – keine Tour war schließlich auch gleichzeitig ein Wagnis wie diese, die es nun zu machen gilt.