Sind wir nicht fast alle Etikettentrinker?
Der unbedarfte Weinkäufer sagt, er kenne sich nicht aus. Schmecken soll es und preislich soll es passen… Wenn er niemanden hat, der ihm was empfiehlt, dann guckt er nach dem „hübschen“ Etikett… – welches er vermutlich nicht mal wirklich lesen kann. Da wird auf den optischen Gesamteindruck geschaut und weniger die Fragen gestellt: Wo kommt der Wein eigentlich her? Wer hat ihn gemacht (eine anonyme Chemiefabrik a la Petersbach im Elsaß oder steht ein anerkannter Erzeuger dahinter)? Was ist eigentlich drin (und da meine ich nicht, das in 14 verschiedenen Sprachen erwähnt ist, dass der Wein Sulfite enthält, sondern eher die Rebsorte, das Rebenalter, die Cuvée, vielleicht auch der Boden und wie erzeugt) ?
Es interessiert in Deutschland leider kaum, was uns ein Etikett verraten sollte. Hauptsache, es steht drauf, dass Sulfite drin sind – es scheint, als interessiere das am Meisten die Behörden; für die hippen Mitmenschen reicht es, wenn irgendein Biosiegel abgebildet ist, besser noch der Vermerk, dass der Wein ja auch vegan sei. Oder vielleicht noch die eine oder andere mehr oder minder dubiose Auszeichnung. „Berliner Wein-Trophy“ – das lacht das Hauptstadt-Hipster-Herz und freut sich… „Vegan, bio, Wein-Trophy Medaille und dann 1,99 €, bei Kartonkauf noch mal satte 19% gespart….“ Nachdem ein solches Gesöff vernichtet ist, spielt das Etikett erneut seine Rolle:
War gut: ich gucke, ob ich dieses Etikett irgendwo wiedersehe, bei Aldi war der aber jetzt 10 Cent günstiger, was machen wir denn da? Bekomm ich noch zusätzlichen Mengenrabatt?
War Mist (trotz aller wichtigen Infos auf dem Etikett) – der ist nichts, einen Wein mit diesem Etikett nicht wieder kaufen. Noch schlimmer: Da stand neben „Vegan, bio, Wein-Trophy Medaille und dann 1,99 €, bei Kartonkauf noch mal satte 19% gespart….“ auch noch ganz groß „Rioja“ drauf (ersetze Gebiet oder auch Traubensorte durch Gebiet oder Traubensorte deiner Wahl…) – ergo, wenn auf einem Etikett „Rioja“ drauf steht, dann zukünftig Finger weg…
Gut, wir Weinfreaks ticken anders, aber wir haben ja auch die Weinweisheit mit Löffeln gefressen oder mit dem Strohhalm resp. der Pipette aufgesogen, wir wissen, was teuer ist, was regelmäßig höchste Parker-Punkte (ersetze Parker durch den Kritiker deiner Wahl) bekommen hat (manchen von uns reicht auch der VJG, wer jetzt mit dieser Abkürzung nichts anfangen kann, der frage bei dem größten spanischen Weinimporteur, der jedes Jahr als Bester Weinhändler Deutschlands ausgezeichnet wird nach oder registriere sich dort als Stammkunde, um täglich mit dieser Abkürzung konfrontiert zu werden),
Natürlich wissen wir auch, was grade Kult ist und wie diese Etiketten aussehen sollten…
„Jeder ernsthafte Weinliebhaber ist es sich schuldig, einmal im Leben eine Flasche Lafite – Rothschild getrunken zu haben“, so belehrte mich mein erster Guide Hachette, den ich als 1995er Ausgabe von meiner damaligen Freundin zur Weihnacht bekam. Da der Lafite auch einen Coup de Coeur bekommen hatte, wurde das Etikett gleich mitgeliefert. Fortan suchte ich in jedem Weinregal nach einer Flasche mit diesem Etikett, bis ich dann damals im Hawesko-Katalog das Etikett wiederentdeckte und nur deswegen einen Kaufreflex bekam. Teuer? Na und! Ist doch für einmal im Leben… na gut, 2 Flaschen zu je 79 DM (löste damals in meinem Bekanntenkreis totales Unverständnis aus, man könnte ja schließlich z.B. auch Panzer fahren für das Geld..), weil eine Flasche könnte ja nichts sein… – und jeder Weinhändler damals hätte auf die Aussage: „Der Wein hat ´nen Kork“ mit „Ich weiß!“ reagiert….
Danach war natürlich lange Jahre Geduld gefragt, aber wenigstens das Etikett einmal pro Jahr ansehen und die Flasche streicheln ging schon mal, ehe dann jemand meinte: „Lafite 1991, der ist doch nix…“. Okay, Messlatte deutlich runter, nicht, dass ich mich ärgern müßte… Aber sowas um Himmel willen nicht blind verkosten und dann womöglich mit 83 Punkten abstrafen, schließlich würde man sich als Weinniete outen…
Zum Glück hatte ich einen Weinfreund, der nahe der Luxemburger Grenze wohnt und der Trost parat hatte: „So schlecht, wie ihr Ruf sind diese Weine nicht…“ Nochmals ein paar Jahre später hatte ich mit ihm zu viert einen supergenialen Abend mit fünf 1991ern: Montrose, Cos d´Estournel, Haut Brion, Latour und natürlich Lafite. Fünfmal richtig Spaß im Glas und weit weg der 83 Punkte. Und ja, man kann das einmal im Leben so gemacht haben… (oder auch wiederholen oder fortsetzen), ob man es sich schuldig ist, darüber vermag ich bei heutigen Preisen für Lafite besser nicht urteilen müssen.
Leere Flaschen mit solchen Etiketten behält man auch gerne – als Souvenir, Erinnerungsstück, vielleicht auch zum Zeigen… Aber am Ende ist das wie bei den Reiseführern, denen man folgt: „Diese Kathedrale musst du unbedingt gesehen haben, sonst warst du nicht da…“ – okay, hinreisen, anschauen, abhaken… Irgendweine knuffige kleine Dorfkirche ein bissel weg bleibt mitunter mehr in Erinnerung. Wenn du davon ein Bild zeigst, sagen viele „Hübsch, aber kennt kein Schwein. Deswegen bit du doch nicht nach XY gefahren“. Doch, am Ende schon…
Manche dieser Etiketten brennen sich ein als das Unerreichbare…
Romanée Conti? Petrus? Pingus? Nicht mein Ding…. – zu teuer, bekomm ich nie ins Glas. Aber die Etiketten kenne ich….
Les Granges des Pères? Espectacle? Château Chalon von Macle? Torroja Roncavall? – auch teuer, aber quasi für die heutigen „Einmal im Leben…“ – Momente. Vergiß es, zu rar, die Flaschen sind zu schnell verteilt… Zu spät, Jagdtrieb und Sammelwut sind grade erwacht… Scheiß auf die Vernunft…
Und so sitz ich da mit einer Flasche Granges des Pères aus 2001, meiner einzigen, die ich davon ergattern konnte. Für diese Weinrallye, um mir Gedanken zum Etikettentrinken zu machen…
Der Wein ist im Übrigen schon toll. Kühl und würzig, derzeit recht Syrah-betont, gut zu trinken und mit langem Nachhall, so notiere ich es auf dem Etikett. Aber es gab Besseres aus dem Languedoc für mich in diesem Jahr (leider ähnlich rare Etiketten – die Cuvée Sylla 2000 von Borie de Maurel und der L´Opportuniste 2006 vom Mas Mortiès), und es gab auch für mich schon bessere Granges des Pères aus anderen Jahrgängen… – denn hier hab ich Jagdtrieb und Sammelwut nicht gebändigt bekommen. Die eine Flasche aus 2001 durfte ich einem deutschen Händler abschwatzen, vielleicht gefielen mir die Jahre danach noch etwas besser, weil ich dann doch direkt beim Winzer kaufen durfte nach jahrelangem vergeblichen Bemühen. Dort in den Keller kommen zu dürfen war das Finden des Heiligen Grals des Languedoc… und daran, an Aniane und all meine Erlebnisse dort werde ich jetzt bei diesem Wein zurück denken. Die Erinnerungen kommen ausgelöst durch das Etikett und den Inhalt im Glase – sofern man denn wie ich welche hat… auch das ein Nebeneffekt manches Etikettentrinkens…
Und wer jetzt noch nicht genug der Etiketten hat, der schaue auf meinem Blog die bisherigen Beitäge zur 2006er ten years und 2001er fifteen years after Probe an (der Artikel mit den besten 7 von 69 Weinen fehlt noch). Dabei waren auch einige Weine für Etikettentrinker. Nicht alle landeten auf den Top-Plätzen, das ist wie mit Kathedrale und Dorfkirche…. Aber alle Etiketten seht ihr, die von den klassischen Etiketten-Trinker-Prioratweinen wie auch die, deren Etikett man sich einprägen sollte auf der Suche nach bestem Prioratstoff. Und wer dann abwinkt und sagt – zu rar, dem kann ich oftmals helfen, schließlich bin ich auf Beschaffung solchen Stoffs inzwischen spezialisiert
„Die Weinrallye ist ein Blogevent, das jeden Monat einmal stattfindet (in der Regel am letzten Freitag im Monat). Einer der teilnehmenden Blogs übernimmt die Führung, bestimmt das Thema, lädt ein, verlinkt die Beiträge und erstellt eine Zusammenfassung. Sinn und Zweck einer Weinrallye ist einzig und alleine der Spass und die Motivation, schöne Themen aufzuarbeiten. Bei der Weinrallye darf jeder mitmachen, egal ob Weinblogger oder nicht. Auch Nichtbloggern bieten die Gastgeber immer die Möglichkeit ihre Beiträge auf ihrem Blog zu veröffentlichen. Allgemeine Informationen findet man auf den entsprechenden Seiten von Thomas Lippert (dem Gründer des Events) auf seinem Winzerblog. Wer gerne einmal selbst als Autor/Themengeber mitmachen möchte, findet alle Infos und die kommenden Themen auf der Weinrallye Seite auf Facebook Weinrallye. Gastgeber der Weinrallye #105 ist Martin Riedl auf seinem Blog: Flüssige Freundlichkeiten“
(Peter Züllig)