1993…
Boah, was für eine unerwartet üppige und geniale Nase – ein Riechtraum.
Ich traue mich zunächst gar nicht zu trinken – aus Angst vor einer
Enttäuschung am Gaumen.
Ich bin bei Bordeaux 1993 – einem nicht so super renommierten Jahrgang.
Und immerhin ist 1993 jetzt 20 Jahre her, ein runder Geburtstag, wie
ich auch dieses Jahr einen schon hatte – nur hab ich bissel mehr auf
dem Buckel und stand 1993 in der Blüte meines Lesens – heute weiß ich, dass das die schönsten und intensivsten Jahre meines Lebens
waren, in denen ich damals lebte – und meine Schwärmerei für Wein kam auch zu der Zeit in neue Dimensionen – langsam, aber stetig.
Sicher, Ende Februar 1993 war noch nichts zu ahnen von dem, was ich da 20 Jahre später aus ebenjenem Jahr ins Glas nehmen sollte, das Frühjahr liegt noch vor mir, der Sommer erst recht – ich war wahrscheinlich
grade unten in Aniane in Südfrankreich oder bin grad von dort
zurückgekommen.
Hatte schon die erste 1993er Frühlingssehnsucht gespürt – obwohl – so schlimm war wohl der Winter 1993 nicht wie dieser jetzt grade – zumindest war ich anlässlich meines damaligen runden Geburtstages im Januar klettern – im damals noch existenten Löbejüner Paarschbruch,
der wenige Jahre später wieder als Steinbruch – u. a. für die damals
noch nicht existente A14 dienen sollte.
Der Wein duftet noch immer aus seinem Glase heute – ich darf noch
weiter schwärmen von jenen Tagen, als wir Ostdeutschen vielleicht nicht mehr an den Kohl, aber an doch irgendwann blühende Landschaften glaubten. Und uns hingaben in Lust auf das neue Leben in Freiheit und
einem grenzenlosen Europa.
Ich hatte damals das Glück, mit Reisen mein Geld zu verdienen, internationale Jugendaustausche waren die Zauberworte, die mich auch nach Aniane führten – immer wieder Ende Februar – Anfang März.
Die mich auch schon ins Medoc geführt hatten zu jener Zeit, in der ich immer neugieriger auf Wein wurde, ohne doch schon wirklich etwas darüber zu wissen. Es gab nur: Schmeckt, schmeckt besser, schmeckt super gut – oder eben schmeckt nicht, schmeckt grottig, würde ich noch nicht mal zum Kochen nehmen… – das hatte ich damals schon raus, dass die Petersbachabfüllungen in den deutschen Supermärkten oft noch nicht mal zum Verkochen taugten… – wie oft und bei wem ich mich mit solch ehrlicher Äußerung zum stolz präsentierten Wein („den habsch vom Alldiiieee“) letztlich über Jahre unbeliebt gemacht hatte, lassen wir dahingestellt, ich begann Geld dafür auszugeben, in der Hoffnung, dass später jene geheimnisvollen Düfte aus dem Glase wabern, die mich schon 1993 begannen, zu betören..
Der Wein heute scheint das zu tun, seine Nase inspiriert mich zu diesen ausufernden Zeilen…
Bordeaux, dass war damals auch für mich als Wein-Novizen der Inbegriff der besten Weine der Welt – die galt es, unbedingt kennen zu lernen, koste es, was es wolle… und die Guten kosteten auch schon damals ein wenig mehr Geld als der Rest der meisten zu entdeckenden Wunschweine Frankreichs…
Mein Paradies – das katalanische Priorat hatte ich zu der Zeit noch nicht gefunden, aber lange sollte auch das nicht mehr dauern, war ich doch mit dem Ohr immer an der Schiene – damals…
Und so gab ich unanständig viel Geld für Bordeaux-Weine aus – zumindest den heutigen muss ich nicht reuen, das passt schon…
Jetzt doch mal einen ersten Schluck – und ja, ich bin so begeistert wie von den beiden früher getrunken Flaschen dieses Weines. Er hat das, was ich mir bei einem großen Bordeaux wünsche, eine tiefe und komplexe Nase zum Schwärmen, Eleganz und dennoch ein paar Ecken und Kanten, etwas Kraft, damit der Gaumen etwas zu tun bekommt, aber dennoch keine Tanninwand – deswegen warten wir ja unendlich lange auf diesen Genuss, die Hoffnung nie aufgebend, eine Noblesse und Anmut, die den Wein über
das Bäuerliche und Proletarische stellt, vielleicht sogar über das Bürgerliche, Kleinbürgerliche… Eine Länge, die den Genuss eine Zeit
hinzieht und eine Trinkigkeit, die doch nach dem nächsten Schluck süchtig macht…
Wirklich großen Weinen verfällt man – wie den besten Frauen dieser Welt, wenn man es denn schafft, sie zu finden und sie kennen zu lernen – und wenn sie sich offenbaren und verführen, statt abweisend und frigide unnahbar und unantastbar auf ihrem Thron zu sitzen.
Oft ist es nicht die, die von sich selbst behauptet, sie sei die Schönste und am allermeisten sexy und verführerisch – und so ist es
auch bei den Weinen des Bordelais oft nicht der, der in der Hierachie über anderen steht, sondern mitunter der, den man gar nicht so auf dem Fokus hat anfänglich (und doch, wie leicht spricht es sich herum, was man auf dem Fokus haben sollte…)
Der gestrige 1993er Leoville Barton hätte mich wohl nicht dazu hingerissen, all diese Zeilen hier zu schreiben. Ein 2eme Grand Cru Classé, der mich aber selten zum wirklichen Schwärmen veranlasste – bislang…
Der heutige ist ein 5eme Grand Cru Classé, aber was für ein Verführer – selbst in einem Mittelmaßjahr wie diesem… (da wird sich der Rest meiner 1993er Klicke gehörig anstrengen müssen…) Und doch, es ist alles andere als ein Geheimtippwein, er hatte mich schon damals genau so viel gekostet wie der Leoville Barton.
Aber dieser hier ist das Geld auch wert, auf Heller, Cent und Pfennig, was ich damals investiert habe, um den Wein im Keller vergessen zu haben – bis heute…
Ich würde mir selber untreu werden, gäbe ich diesem Wein weniger als die verdienten 95/100 Th., die den Einstieg in die Welt der großen Weine in meinem Kontext bedeuten. Eine Punktezahl, die Weinen vorbehalten ist, die in der Lage sind, mich emotional zu berühren. Und das tut er – durchaus – und mit langem Nachhall.
Nun, so sei es, egal ob man es darf – einem 1993er Bordeaux das Attribut „groß“ zu verleihen. Ich störe mich daran nicht, zu tun, was man besser nicht tun sollte, ich gieße mir ein nächstes Glas ein und feiere diesen großen Wein aus kleinem Jahr.
Welch Zufall mit der Weinrallye heute, das muss doch irgendwer gewusst haben???
Und wenn es der Inhalt dieser Flasche war, die ich schon beizeiten als einen der für mich interessanteren Weine aus dem Bordelais benannt hatte…
Château Lynch – Bages; Pauillac…
Mein Dank gilt neben dem überraschend guten Wein auch der Ausrichterin dieser Weinrallye
Julia vom Blog Germanabendbrot
Ein Gänsehaut-Post. Wie schön! Danke fürs Mitmachen!