Das letzte Jahr meines Lebens…
… mit einer 1 vornedran…
Ein Schicksalsjahr? Ja. Weintechnisch gesehen für mich schon…
Es begab sich in einer Zeit, wo ich vom Internet noch nicht viel wußte, ich lernte grade, das es das gibt… Aber ich hatte bereits vor einigen Jahren begonnen, mir ernsthaft Weine in den Keller zu legen, um sie später zu trinken. Das war die Zeit, in er man noch „Alles über Wein“ kaufte, um erste Infos zur Bordeaux – Subskriptionen zu erhalten, in der es den Guide Hachette noch auf Deutsch gab und in der Händler noch Kataloge und Werbebriefe nach Hause schickten.
Mein Keller war sehr frankreichlastig – etwa 75% aller Weine kamen von dort, etliches aus Bordeaux aber noch weit mehr aus Südfrankreich, wo ich mich derzeit häufiger aufhielt und stolz darauf war, einige der schon damaligen Koryphäen persönlich zu kennen und regelmäßig bei ihnen einzukaufen… Aimê Guibert, Oliver Jullien, Christophe Peyrus, Gerard Gauby, Jean Gardiès und viele andere mehr…
Vom Jura war ich begeistert und dachte noch, das interessiert in Deutschland eh keinen. Wie kann man stolz darauf ein, schon mehrfach bei Jean Macle gewesen zu sein zu dieser Zeit?
Und dann gab es da noch das große unbekannte Paradies namens Priorat – auf der anderen Seite der Pyrenäen gelegen… aber wo da eigentlich genau? Die Weine hatte ich dummerweise ab 1995 in Andalusien entdeckt und ich war versucht, alles zu kaufen, was man irgendwie bekommen konnte. Infos darüber waren eine Illusion…
Der Urlaub 1999 begann natürlich frankreichlastig – aber gefährlich für Grenzgänger… – die Pyrenäen riefen… Klettern in Vingrau im Roussillon, Weinkauf dito – mit Abstechern nach Maury und Collioure – des Weines wegen… Dann die Schluchten der Caranca durchwandern inclusive Erklettern eines namenlosen Berggipfels, ca. 2.800 m hoch, auf dem ein Steinbock mich musterte, ohne in Panik zu verfallen…
Weiter nach Andorra, verschiedene Bergtouren, das erste Mal Andorraner Klettersteige in Canillo, Übernachten in der Estanyo-Hütte, Besteigen des Estanyo und hektischer Abstieg, weil sich von drei Seiten Gewitter nähern…
Es kommt wie es kommen muss – Wetterumschwung und die Frage:“Was nun?“.
Und plötzlich geht alles ganz schnell in der Entscheidungsfindung: „Gucken, wo das Priorat ist…“ Gratallops finde ich auf meiner alten Katalonien – Übersiichtkarte… Annähern an ein Thema, immer enger und abenteuerlicher werden die Straßen… Felsen überwölben die engen Straßen. die Landschaft wirkt endlos, weit und wild. Reben sehen wir, Menschen kaum…
Hier muss man schön wandern können und zu Klettern wird es auch viel geben. Und dann noch der mysthische Wein… – es geht ganz schnell mit dem angefixt-Sein…
In Gratallops dann das „Geöffnet“ – Schild beim Celler Cecilio und die Hoffnung, Wein kaufen zu können. „Du willst Wein? Wo ist dein Gefäß?“ August Vicent verkaufte für gewöhnlich en vrac. Wieso ich Flaschen kaufen will? Was, ich will den Wein nach Deutschland mitnehmen…??? Ich werde gemustert wie eine längst ausgestorbene oder noch gar nicht geborene Spezies… Ob ich denn extra von Deutschland gekommen sei, um bei ihm Wein zu kaufen?
Etwas weiter vorn ist der damalige Weinladen von Costers del Siurana. Der Verkäufer ruft den Winzer an: „Hier sind Deutsche…“ und er bekommt die Order, uns nicht weg zu lassen. Carlos Pastrana holt uns persönlich ab, Kellerführung, Fassproben, freundliche Gespräche… Natürlich wandert Wein in den Kofferraum. Meine ersten Priorat-Holzkisten…
Das macht Hunger. Es soll in Gratallops eine Gaststätte geben. Am Besten die Nase einschalten und dort rein, wo es am Besten riecht… Tatsächlich. Wir müssen eine Treppe hoch, immer dem Duft nach. Nonverbale Kommunikation – und wir werden satt. Und die katalanische Küche bleibt ihrem Duft nach hängen…
Nächster Stopp Torroja del Priorat – die paar Kilometer dauern auf dem abenteuerlichen Weg eine Ewigkeit. Im Dorf jede Menge Katzen und zwei alte Leute hinter den Gardinen einiger Häuser. Ängstlich – neugierige Blicke… da gehen welche durch´s Dorf…
Wir finden einen Biwakplatz und eine Wasserstelle. Mehr bauchen wir nicht zum Glücklichsein, den Rest haben wir eh dabei…
Am nächsten Tag wieder die abenteuerlichen Wege – rüber nach Scala Dei… Hier können wir Wein kaufen – sogar noch welchen aus 1975. … in Flaschen.
Und dann die Frage, ob wir uns einer Führung durch den Keller anschließen möchten, der Führer spräche auch französisch… Ein Bus hält, heraus quillt eine Menschenmenge „Weintouristen“. Wir erfahren, dass es sich um Journalisten aus verschiedensten asiatischen Ländern handelt… Wieso sind die schon weiter als wir Deutschen, frage ich mich. Frag hier wen was übers Priorat und du wirst wieder angeguckt, als gehörst du zu einer bereits ausgestorbenen oder noch nicht geborenen Spezies…
1999…
Eine andere Zeit. Vieles hat sich seither geändert, ob es allerdings besser geworden ist? Das war eine Zeit, in der die meisten Träume noch nicht gestorben waren, ich war damals noch nicht im realen harten deutschen Kapitalismus angekommen, wo gnadenlose Konkurrenz herrscht – Existenzangst, das Wort gehörte damals noch nicht zu meinem Wortschatz, ich glaubte noch an eine sozial gerechte Gesellschaft, war gedanklich noch mehr in meiner Jugendarbeit verhaftet und das Gespenst von den Hartz-Reformen war noch nicht an die Wand gemalt. Ea gab auch noch kein Internet für mich, kein Talk about – Wein, keinen Priorat – Hammer. Es war Geld da, um den Weinkeller zu pflegen – ich wußte nicht, dass es außer mir und einer Handvoll Leute um mich rum noch andere Weinfreaks gibt. Es hat gereicht, im Priorat „der Deutsche mit dem Kletterseil“ zu sein…
Es gab noch keine aggressive Werbung, niemanden, der mich ungefragt bröckchenweise, so wie es gerade passt, zitiert und dann Weine ehrbarer Winzer verschleudert und es damit für mich unmöglich macht, diese Weine auch und zu normalen und für jedermann fairen Preisen zu verkaufen, so wie ich das lange Jahre konnte.
Ich hatte noch nicht die verrückte Idee, über das Priorat zu schreiben und ich musste noch nicht vom Weinverkauf überleben.
An Tagen wie heute wünsche ich mir ein neues Schicksalsjahr – eines wie 1999 – aber eines, wo es sich alles zum Positiven wendet.
Ich werde jetzt in die Elbe gehen und mir für den Rest dieses Tages hitzefrei nehmen. Prioratwein will eh niemand derzeit von mir, die Schnäppchenjäger finden nichts bei mir. Kampfpreise kann ich nicht mitgehen… Hinterher schreibe ich am Prioratführer weiter, was Besseres fällt mir derzeit nicht ein. Aber ich hoffe auf ein neues Schicksalsjahr… Und auf neue Träume.
Die Weinrallye ist ein monatlich wiederkehrendes Event . Gastgeber dieses Mal ist Harald Scholl.